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Am 2.9.2021 wurde im Berliner Abgeordnetenhaus das neue Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) beschlossen. Damit geht ein über drei Jahre dauernder, von der rot-rot-grünen Koalition vorangetriebener Prozess zu Ende. Im Frühjahr dieses Jahres kam der Streit darum noch einmal in eine heiße Phase. Die Landesastenkonferenz forderte mutigere Schritte in Richtung Diversität und Hochschuldemokratie. Die Landesvertretung Akademischer Mittelbau Berlin (LAMB) stritt für ein verlässliches „Gesamtkonzept für die Personalstruktur“ inklusive tatsächlich unbefristeter Stellen für PostDocs. Die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidien der Berliner Hochschulen (LKRP) sah dagegen – in allgemeinen Phrasen sprechend – die „Leistungsfähigkeit der Berliner Hochschulen gefährdet“. Nach dem jüngst beschlossenen Änderungsantrag, der regelhaft eine verbindliche Entfristungsoption für Postdoktorand:innen auf Haushaltsstellen vorsieht, legte die LKRP noch einmal nach: Sie befürchtete, dass eine „zementierte Personalstruktur“ entstünde und die Generationengerechtigkeit gefährdet wäre, wenn die „jetzt vorhandenen Stellen in kurzer Zeit sämtlich besetzt“ würden.
Wer die Diskussion um das neue BerlHG aus Mittelbauperspektive mitverfolgt hat, sah sich von Hochschulseite mit neoliberalen Narrativen konfrontiert: Prof. Katharina Bluhm (FU Berlin) verteidigte das Modell einer völlig an Wettbewerb und Exzellenzkampf orientierten Hochschule und FU-Präsident Ziegler kritisierte, dass mit dem neuen BerlHG „fast jeder Postdoc auf einer Qualifikationsstelle eine Anschlusszusage bekommen muss“.
Hanna und Reyhan brauchen keine „Hilfe“, sondern Zukunftsperspektiven und Schutz vor Ausbeutung
In den letzten Wochen vor der Entscheidung über das neue BerlHG brachten Tausende Wissenschaftler:innen mit den Hashtags #ichbinhanna und #ichbinreyhan das BMBF in Bedrängnis. Sie brachten auf Twitter ihre Wut über die Auswirkungen des gegenwärtigen Wissenschaftssystems auf Alltag und Lebensplanung zum Ausdruck, sie kritisierten zu Recht den Ausschluss sehr guter Wissenschaftler:innen aus strukturellen Gründen (z.B. Care-Arbeit, Aufenthaltsrecht, fehlendes Erbe als finanzielles Backup). Das BMBF reagierte:
- Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas wandte sich am 17.6. mit einer Videobotschaft an den Mittelbau und erklärte, dass man mit dem Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken (ZSL) bereits alle wichtigen Schritte in eine bessere Zukunft eingeleitet habe. Vor Ort können Mittelbauinitiativen allerdings längst die Leere dieses Versprechens erkennen, weil die Länder und Hochschulen de facto gar nicht verpflichtet sind, ZSL-Mittel für entfristete Stellen einzusetzen.
- Am 10.8. lud Bundesbildungsministerin Anja Karliczek fünf Kritiker:innen zu einem Gespräch nach Bonn und stellte sich der Kritik (Bericht und Forderungen des NGAWiss). Jedoch: In der von der Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke (LINKE) initiierten Aktuellen Stunde zu prekären Arbeitsbedingungen am 24.6. ließ Anja Karliczek lediglich ein individualisierendes Problemverständnis erkennen. Ihrer Meinung nach müssten den jungen Wissenschaftler:innen außeruniversitäre Karrierewege aufgezeigt werden und sollte ihnen geholfen werden, frühzeitig zu erkennen, wenn sich nicht gut genug für eine wissenschaftliche Karriere seien.
Wer im Alter von 45 Jahren als in der Wissenschaftscommunity anerkannte:r Privatdozent:in noch immer auf der Suche nach einer Festanstellung ist, dem verschlägt es beim Narrativ der „Hilfe für Hanna“ (siehe auch Hanna helfen geht nur gemeinsam) die Sprache. Insofern ist das BerlHG auf Landesebene nun ein lang ersehnter Schritt in die richtige Richtung. Denn den Hannas und Reyhans muss und kann nicht individuell durch Karriereberatung geholfen werden. Wir brauchen strukturelle Veränderungen: Die rot-rot-grüne Regierung Berlins hat erkannt, dass es einen Handlungsspielraum zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für PostDocs auf Landesebene gibt. Während auf Bundesebene das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) einen Freifahrtschein für die Universitäten zum ‚Einstellen und Wieder-Rauswerfen‘ ausstellt, schiebt das neue BerlHG dieser Praxis für die Beschäftigung nach der Promotion nun einen Riegel vor. Im Gesetz heißt es:
„Sofern die wissenschaftliche Mitarbeiterin oder der wissenschaftliche Mitarbeiter bereits promoviert ist und es sich bei dem im Arbeitsvertrag genannten Qualifikationsziel um eine Habilitation, ein Habilitationsäquivalent, den Erwerb von Lehrerfahrung und Lehrbefähigung oder um sonstige Leistungen zum Erwerb der Berufungsfähigkeit gemäß § 100 BerlHG handelt, ist eine Anschlusszusage zu vereinbaren.“ (§100, Abs. 6, S. 2 BerlHG)
Das klingt so revolutionär wie es ist und bedeutet, dass die Hochschulen nun eine klare Zielrichtung vorgegeben bekommen: Sie dürfen das WissZeitVG nicht mehr ausreizen und Wissenschaftler:innen schamlos nach 12 Jahren fundierter Arbeit vor die Tür setzen, sondern müssen denen, die über eine abgeschlossene Promotion verfügen, eine Entfristungsoption nach spätestens 6 Jahren eröffnen. Dies ist mit der gegenwärtigen Regelung des WissZeitVG vereinbar, wurde aber in den allermeisten Fällen vermieden. Denn anstatt gute Arbeit gut zu bezahlen (siehe zum Beispiel „Gute Bildung kostet Geld“), verfolgen die Hochschulen ihren Sparkurs ohne Rücksicht auf Verluste. Aus ihrer Perspektive sind erfahrene Wissenschaftler:innen wegen der tariflich festgelegten Erfahrungsstufen (d.h. sukzessiven Gehaltssteigerungen) ein ärgerlicher Kostenfaktor; das üblicherweise vorgetragene Wettbewerbsnarrativ wird genutzt, um diesen Umstand zu kaschieren.
Offen bleibt, ob auf der nun beschlossenen Gesetzesgrundlage auch promovierten Mitarbeiter:innen anderer Personal- und Finanzierungskategorien (Wissenschaftler:innen in Drittmittel-Projekten und den über den Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken finanzierten Kolleg:innen) eine Perspektive angeboten werden kann, denn für sie gilt bezüglich Anschlussvereinbarungen nur eine Kann-Regelung. Teilnehmende der Twitter-Debatten äußerten zudem die Sorge, dass die Hochschulen das neue BerlHG unterlaufen, indem sie gar keine PostDocs mehr, sondern nur noch halbe Mitarbeiter:innen vor der Promotion einstellen. Angesichts ihres lautstarken Eintretens für „Generationengerechtigkeit“ würden sich die Berliner Hochschulleitungen mit einer solchen Praxis allerdings restlos desavouieren.
Die von der LKRP aufgeworfene und gleichfalls auf Twitter diskutierte Frage, ob eine Ad-Hoc-Umsetzung des neuen BerlHG eine Generationenungerechtigkeit schafft, da nunmehr auf einen Schlag eine Generation von Vierzigjährigen entfristet würde, verdient allerdings differenzierte Antworten. In seinem Personalmodelle-Diskussionspapier hat NGAWiss gezeigt, dass regelhaft unbefristete Beschäftigung nicht bedeutet, eine regelmäßige Nachbesetzung von Stellen zu verunmöglichen. Deshalb sei auch an dieser Stelle betont: Wie in der freien Wirtschaft bleiben nicht alle unbefristet Eingestellten für immer; je mehr Personal beschäftigt wird, desto mehr Stellen werden altersbedingt frei, und natürlich hört auch der Wechsel von Arbeitsorten nach der Entfristung nicht auf. Entfristete Wissenschaftler:innen werden weiterhin den Wohnort wechseln und auf Professuren berufen. Allmähliche oder abrupte Umstellungen durch veränderte Gesetzeslagen wurden in unserem Personalmodelle-Diskussionspapier allerdings nicht berechnet. Hier sind die sich der Generationengerechtigkeit verpflichtenden Berliner Hochschulen nun gefordert: Sie müssen Übergangskonzepte erarbeiten, die dafür sorgen, dass ein Teil der zu vergebenen Stellen sofort unbefristet an fortgeschrittene Postdocs und Habilitierte vergeben wird, damit der allmähliche Ausbau unbefristeter Stellen durch die nun verpflichtende Anschlusszusage nicht nur einer recht schmalen Altersgruppe zugute kommt. Eine Frage an die Berliner Politiker:innen bleibt jedoch, ob diese zwei kombinierten Effekte ausreichen werden oder es einer Umsetzungsfrist für die Hochschulen bedarf.
Keine Verbesserung eröffnet das BerlHG leider für die Lehrbeauftragten. Sie bleiben an den Fachhochschulen, aber auch an privaten und staatlichen Hochschulen das semesterweise auf Honorarbasis angestellte Heer der Unterbezahlten – systemrelevant und trotzdem ohne Zukunftsperspektive.
Hanna und Reyhan sind keine Zaungäste in der Wissenschaft – sie SIND die Wissenschaft
Mit dem neuen Hochschulgesetz geht die Berliner Regierung – trotz aller noch offenen Fragen in Bezug auf die Umsetzung – einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Berlin hat einen Standard gesetzt und die anderen Länder müssen nun nachziehen, damit ihre Hochschulen als Arbeitsorte für PostDocs attraktiv bleiben.
Dabei muss man natürlich im Blick behalten, dass Wissenschaftspolitik hoch komplex ist und verschiedene Akteur:innen ihren Kurs massiv ändern müssen. Deswegen braucht es endlich funktionierende und wirklich mutige Gesetzesänderungen – nicht nur bei den Landeshochschulgesetzten, sondern auf vielen Ebenen. Das WissZeitVG muss grundlegend reformiert oder abgeschafft werden. Die Landesgesetze müssen Personalstrukturen und Personalkategorien für Stellen und Karrierewege vorgeben, in denen Forschen und Lehren vereinbar ist. Und es braucht eine neue Grundfinanzierung, eine Abkehr vom Drittmittelunwesen und von der Exzellenz-Schimäre.
Wir brauchen auf der politischen Seite endlich eine breite Einsicht dazu, dass Wissenschaftler:innen ohne Professur keine „Zaungäste“ der Wissenschaft sind, die gern mal ein paar Jahre mitspielen und sich mit diesem oder jenem Projekt den Lebenslauf aufpeppen dürfen, wie jüngst FU-Präsident Ziegler behauptete. Hanna und Reyhan SIND die Wissenschaft. Sie bilden als befristete Mitarbeiter:innen rund 85% der nicht-professoralen wissenschaftlichen Angestellten an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Sie stemmen die Lehre und gestalten damit den ‚Bildungsraum Hochschule‘ für fast drei Millionen Studierende. Sie betreiben Forschung und sind damit diejenigen, die zu einem Mammutanteil das hervorbringen, was heute Wissenschaft ist.
Gute Arbeitsbedingungen für Promovierende und Promovierte werden allen zugutekommen: den wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, den Studierenden und der Gesellschaft, die von der Wissenschaft profitiert. Wir erwarten von den Berliner Hochschulen, dass sie ihren durch das BerlHG formulierten Auftrag ernst nehmen. Das heißt auch, dass sie demokratische und transparente Verfahren entwickeln, anhand derer die neuen PostDoc-Stellen besetzt werden.