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Stellungnahme des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) 

(English version below)

Das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft unterstützt die aktuelle Forderung nach einem Nicht- beziehungsweise Flexi-Semester im Sommersemester 2020, wie sie in einem von fast 11.000 Wissenschaftler*innen unterzeichneten offenen Brief (https://www.nichtsemester.de/cbxpetition/offener-brief/) angestoßen wurde. Dabei erscheint uns die genaue Bezeichnung weniger relevant als die Anerkennung der Tatsache, dass in der derzeitigen Situation eines gesamtgesellschaftlichen Shutdowns auch der Betrieb an Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Sommersemester 2020 nicht einfach weiterlaufen kann wie bisher. Ebenso befürworten wir den Forderungskatalog zur Corona-Krise der Hochschulgewerkschaft unter_bau  vom 21.03.2020 (https://unterbau.org/2020/03/30/gegen-unsicherheit-in-der-corona-krise/). Wir möchten die dadurch angestoßene Diskussion aufgreifen und vertiefen. 
Studierende, Lehrende, Forschende wie auch technisch-administratives Personal sind von der gegenwärtigen Krisensituation auf vielfache Weise betroffen: angefangen bei der unter den Bedingungen von Pandemie und Kontaktsperre allgemein steigenden psychosozialen Verunsicherung, zu der sich die Sorge um die eigene und/oder die Gesundheit nahestehender Menschen addiert, über die drastisch intensivierte Care-Verantwortung von Eltern und Pflegenden bis hin zu ganz praktischen Fragen der Zugänglichkeit von Forschungsmaterialien und digitaler wie analoger Infrastruktur. Die Krisenförmigkeit der gegenwärtigen Situation verschärft sich unter den Bedingungen befristeter Beschäftigung, die im deutschen Hochschulsystem nach wie vor den Regelfall darstellt.
In Hinblick auf eben diese prekäre Beschäftigungssituation der übergroßen Mehrheit unserer Kolleg*innen halten wir es für unerlässlich, dass alle befristeten Arbeitsverträge von studentischen Mitarbeiter*innen und von Wissenschaftler*innen in der Promotions- und Postdoc-Phase, aber auch von so genannten sonstigen Mitarbeiter*innen um die Dauer der derzeitigen Ausnahmesituation verlängert werden, und zwar ohne Anrechnung auf die Höchstbefristungsdauer nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz  beziehungsweise dem Teilzeit- und Befristungsgesetz. Ebenso dringend notwendig ist die Verlängerung von Stipendien und von “Tenure”-Zeiten für Junior-Professor*innen, die Auszahlung bereits zugesagter Lehraufträge und sonstiger Honorarvereinbarungen (unabhängig von der konkreten Durchführbarkeit der Lehre) im kommenden Semester und die Unterzeichnung bereits zugesagter Arbeitsverträge.
Außerdem erwarten wir die vollumfängliche Anerkennung krisenbedingter zusätzlicher Sorgearbeit (etwa Homeschooling) als Arbeitszeit. Berücksichtigt werden muss zudem, dass auf Lehrende aktuell neben der bereits äußerst anspruchsvollen Aufgabe, Lehrangebote nach Möglichkeit zu digitalisieren, auch erhöhte Betreuungsanforderungen zukommen. Aufgrund der dadurch erhöhten Arbeitszeit müssen die Honorare für Lehrbeauftragte deutlich angehoben werden. 
Studierende brauchen jetzt mehr denn je flexible Unterstützungsangebote, um ihr Studium unter erschwerten Bedingungen weiter führen oder beenden zu können. Dazu gehört eine transparente und flexible Gestaltung von Prüfungsbedingungen. Das Sommersemester soll regelhaft nicht auf die Gesamtstudiendauer angerechnet werden. Wichtig ist zudem die Verfügbarkeit von Lehrmaterialien: Paywalls und Copyright-Probleme dürfen nicht den Zugang zu den dafür nötigen Unterlagen beschränken; alle technisch problemlos verfügbar zu machenden Texte müssen freigeschaltet werden. 
Ohne die genannten Maßnahmen würden die ohnehin bestehenden systemischen Ungleichheiten im Hochschulsystem nur noch weiter vertieft. Darüber hinaus müssen unter den gegenwärtigen Bedingungen von Studium, Lehre und Forschung mehrdimensionale Ungleichheiten und strukturelle Diskriminierungen, insbesondere von ausländischen Student*innen und Wissenschaftler*innen Berücksichtigung finden. Zu den Problemen der Durchführung und Finanzierung des gegenwärtigen Lebensalltags kommen bei ihnen weitere existenzielle Probleme bezüglich des Aufenthaltsstatus, der Visa-Laufzeiten und der Möglichkeiten der Weiterversicherung und -beschäftigung. Es steht auch zu befürchten, dass die zusätzliche Sorgearbeit vor allem zulasten weiblicher Wissenschaftler*innen geht, die ohnehin den Großteil der Sorgearbeit schultern.
Die weitreichenden Folgen der Corona-Krise für Arbeits- und Studienalltag sind angesichts der Prekarität der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im deutschen Mittelbau ohnehin kaum aufzufangen. Anstelle einer Fortführung des permanenten Wettbewerbs im Forschungsbetrieb, wozu beispielsweise die jüngste Ausschreibung der DFG aufruft (https://www.dfg.de/foerderung/info_wissenschaft/2020/info_wissenschaft_20_20/index.html), erfordert die Situation vielmehr ein Innehalten und Umdenken. Denn die gegenwärtige Gesundheitskrise zeigt nicht nur die weitreichenden Probleme des deutlich überlasteten Wissenschaftssystems, sie erlaubt und erfordert es auch, jetzt gegenzusteuern. Es gilt die Krise zu nutzen, um über eine Zukunft des Wissenschaftsbetriebs nach der Pandemie zu diskutieren – eine Zukunft im Sinne von Solidarität, guter Arbeit und kooperativer Erkenntnisproduktion statt weiter forciertem, wissenschafts- und beschäftigtenfeindlichem Wettbewerb. 
Berlin, 1.4.2020
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English Version:

In Solidarity through the Crisis. Precarious Academia in Times of Pandemic

Statement of the Network for Decent Labour in Academia (Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft; NGAWiss)

 

The Network for Decent Labour in Academia supports the open letter signed by 11.000 colleagues to declare the summer term 2020 a ‘non-‚ or ‘flexi-semester‘, respectively (https://www.nichtsemester.de/cbxpetition/offener-brief/). We consider the exact naming less relevant than an acknowledgement of the fact that during the current social lockdown the universities and research institutes cannot continue with business-as-usual. We also endorse the list of demands in relation to the corona-crisis issued on 21.03. 2020 by the university union unter_bau (https://unterbau.org/2020/03/30/gegen-unsicherheit-in-der-corona-krise/). Hereby we take the opportunity to take up on and deepen the discussion initiated by these demands.

Students, teachers, reseachers, as well as technical and administrative staff, are affected by the current crisis situation in various ways: The general psycho-social insecurities caused by the pandemic and social distancing are aggravated by concerns about one’s own health or that of loved ones. Moreover, domestic parental and care responsibilities are intensified under the current circumstances. Last but not least, many are faced with practical questions of accessibility of research material and digital infrastructure. The crisis-character of the present situation is further exacerbated under conditions of temporary employment that continues to be the rule in the German academic system.

Precisely in view of this pervasive precarious employment situation for the overwhelming majority of our colleagues, we deem it necessary to extend all temporary contracts of student assistants, doctoral and post-doc scholars, as well as all other contingent faculty for the duration of the emergency situation. This means: the summer semester 2020 should not be counted into the limited fixed-term employment period set by the Academic Short-Term Contract Labour Act (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) and the Part-Time and Temporary Labour-Act  (Teilzeit- und Befristungsgesetz). Equally urgent is the prolongation of grants, fellowships, scholarships and ‘tenure’- periods for junior professorships. Moreover, already allocated teaching assignments and other honorary agreements for the coming semester (irrespective of the courses’ actual practicability) should further on be remunerated and already assured work contracts should be executed.

Likewise, we expect additional care work (such as home schooling) to be acknowledged as work time in its entirety. It  should be noted that in addition to the very demanding task of carrying on with the duty of teaching via digital tools, instructors are further confronted with enhanced requirements of supervision. Considering the additional workload caused by the current situation, a significant salary increase for the adjunct faculty is required.

Students are now more than ever in need of expansive support in order to continue or finalise their studies. Under these circumstances, a more transparent and flexible examination design is certainly necessary. The summer term should as a rule not be counted in the overall years of study. Even more crucial is the availability of teaching materials: paywalls and copyright-restrictions should be lifted for all technically available data and texts.

Disregarding these legitimate and urgent requirements can only aggravate the structural hierarchies and inequalities inherent to the German academic system. Similarly, multi-dimensional inequalities and structural discriminations that specifically affect international students and scholars have to be taken into account under the present conditions of study, teaching and research. In addition to organising and financing their daily lives, they are faced with further existential problems concerning residence status, durations of visas as well as insurance- and employment-extension. A further concern is that the disadvantages of additional care work in terms of time constraints will yet again mainly fall upon female scholars .

The far-reaching consequences of the corona-crisis for the daily life of academic work and study will anyway hardly be containable given the precarity of work- and employment-conditions for the roughly 90% who remain ‘below’ the level of full professorships (the only permanent position in the German academic system). Instead of pressing for a continuation of the permanent competition in research, as the most recent call by the German Research Foundation (DFG) suggests (https://www.dfg.de/foerderung/info_wissenschaft/2020/info_wissenschaft_20_20/index.html), the situation demands a contemplative break. The current health crisis points not only to the far-reaching problems of the overstrained academic system; it equally allows and calls for countersteering. The challenge is to understand the crisis as an opportunity to discuss the future of academia after the pandemic – a future in respect of solidarity, decent work and cooperative knowledge production rather than a further enforced competition that is hostile to scholarship and scholars.

 

Berlin, 1.4.2020

In solidarity with our colleagues on strike in France and the UK the Network for Decent Labour in Academia (Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft, NGAWiss) partakes in the Dead University Day and will symbolically take down its website on 05 March. We appeal to all scholars and faculty to support the strike day.

On 05 March, our colleagues at French universities will go on strike with the proclamation of a ‘Dead University Day’ and stand up against the increasingly competitive organisation of their academic existences. The protests have been triggered by a law (the so-called loi de programmation pluriannuelle de la recherche) which is set to be elaborated by the government this spring. It aims at new regulations of appointment and employment as well as regular evaluations as enforcing measures. Amongst other things, options of permanent employment for non-professorial faculty (i.e. Maitre*sse de conférence and Chargé*e de recherche) are to be replaced by a tenure-track-model, while the teaching load for scholars who do not publish ‘enough’ is to be increased. A particularly scandalising effect has been produced by an article in which the Director of the Centre National de la Recherche Scientifique called for principles of inequality and renewed Darwinism so as to push the best scholars to greatest achievements: “We are in need of an ambitious, non-egalitarian – yes, non-egalitarian -, virtuous Darwinian law that mobilises energies and encourages the most productive scholars, teams, laboratories and institutions by international standards”, Antoine Petit in Les Echos, 26.11.2019. Experts from Biology and other disciplines have been quick to point out that Petit’s presumptions are covered neither by Darwin’s theory nor by science research. A petition circulated in December and eventually signed by 15.000 researchers emphasizes that selection in the Darwinian sense does not at all refer to a “process of collective optimizing” (but rather favours those individuals that are best adjusted to the environment, usually at the cost of their group). The petition consequently stresses that academic competition – new to France in this form while already painfully experienced elsewhere – mainly rewards strategic behaviour of scholars, whereas a concentration of financial resources is proven to generate less production than their broad distribution (the text can be signed here). De facto shrinking funds are planned to be redistributed in the form of an increasing share of competitive short-term projects – with the convenient effect of veiling the budget cuts. Other contributions add that the spreading competition for prestige and resources in French academia has supported an increase in objectionable behaviour, fraud, and non-reproducible results; the consequence is a “natural selection of bad science” (quote Philipp Hunemann). The political dispute needs to be continued – nationally as much as internationally – not least because we are already experiencing in many instances that even rationally rebutted academic managers can do a lot of harm in practice.

Since 20 February already, scholars are on strike also in the UK. Bitter work disputes have been carried through already in 2018 and 2019 to prevent the transformation of guaranteed pensions into individually traded stock market funds. Estimates (even those of employers) are predicting an actual loss of pensions of between 10 and 40% – “a textbook case of the dismantling of a shared good through financialisation” (Waseem Yaqoob, blog of the London Review of Books, 16.02.2018). Despite some successes, the earlier strikes have not been able to avert the danger; currently a commission set up in order to evaluate the planned reform has become the subject of worry and dispute. Next to this ongoing problematic, it is also so-called zero hour-contracts (i.e. the employment of academics merely according to momentary university needs without guaranteed minimum working hours), work pressures, the gender pay gap and the ethnicity pay gap that are at the center of the current conflict. Up to 50.000 faculty and academics are expected to take to the picket lines over the 14 strike days until 13 March (The Guardian, Sally Weale and Laith Al-Khalaf, 20.02.2020). Colleagues in Britain envisage a breakdown of all thresholds: “This feels like a fight now for the soul of academia, of universities. And it feels (to someone of my age) like the miners’ strike, which is both encouraging and really scary” (Faculty at the University of Birmingham, e-mail exchange).

Meanwhile in France, activities are running high so as to freeze all computer keyboards on 05 March, i.e. to completely stop research (incl. publication) and teaching for a day. The Network for Decent Labour in Academia (NGAWiss) is in explicit support of these resistances (that are carried by employment groups across the spectrum) and wishes for more comparable acts and omissions also in Germany. Ever more signs indicate that the competition already implemented on various levels inflicts serious harm on the academic culture; even a survey recently issued by the conservative Konrad-Adenauer-Stiftung and the DHV (German Association of Universities) has clearly documented massive discontent as regards work overload and a bloated project-generated bureaucracy. The particularly strong existential pressures that are being put upon young scholars impair not only scientific curiosity, creativity, independence and explorative capacities; they also yield great problems in private life (notably in family life) that colleagues in France have so far been spared.

The different national variants of academic neoliberalism appear to be themselves in competition over forcing ahead as far as (im)possible the expansion of markets and quasi-markets, a strategy that has already disastrously failed in social and economic politics. The results are strikingly similar in various countries also beyond Europe, notably in Asia and in the US, where we have been seeing intensified strike activities over the past years: precarity, work overload, competitive bureaucracies, prestige competitions, exacerbated inequality, and a sustainable damage of research and teaching. It is high time that scholars and faculty also in Germany stand up against these developments more actively. Social Darwinism and neoliberal politics are ideas of the past, for the future we need substantial growth in solidarity so as to work for a civil common life on an intact planet.

All the more do we express our unconditional solidarity to our French and British colleagues. We know, they are fighting for us too. High time for us to join them in action.

In Solidarität mit den streikenden Kolleg*innen in Frankreich und Großbritannien beteiligt sich das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft am Dead University Day und wird am 5. März symbolisch seine Internetpräsenz abschalten. Wir fordern alle Wissenschaftler*innen auf, den Streiktag zu unterstützen.

Am 5. März 2020 beginnen die Kolleg*innen an den französischen Universitäten mit der Ausrufung eines ‘Dead University Day’ den Streik, um sich gegen die zunehmend wettbewerbsförmige Organisation ihres akademischen Daseins zur Wehr zu setzen. Den Anstoß bildet ein Gesetz (die sog. LPPR, loi de programmation pluriannuelle de la recherche), das von der Regierung im Frühjahr ausgearbeitet werden soll. Es beinhaltet neue Einstellungs- und Beschäftigungsverhältnisse, aber auch regelmäßige, sanktionsbewehrte Evaluationen. Dabei ist u.a. vorgesehen, die Option der Festanstellung im Mittelbau (Maître*sse de conférence und Chargé*e de recherche) durch ein tenure-track-Modell zu ersetzen und das Lehrdeputat für Wissenschaftler*innen, die ‘nicht genug’ publizieren, zu erhöhen. Besonders skandalisierend wirkte ein Artikel, in dem der Direktor des Centre National de la Recherche Scientifique neue Prinzipien der Ungleichheit und des Darwinismus forderte, um die besten Wissenschaftler*innen zu größtmöglichen Leistungen anzutreiben: „Il faut une loi ambitieuse, inégalitaire – oui, inégalitaire – une loi vertueuse et darwinienne, qui encourage les scientifiques, équipes, laboratoires, établissements les plus performants à l’échelle internationale, une loi qui mobilise les énergies.“ („Wir brauchen ein ambitioniertes, inegalitäres – ja, inegalitäres -, ein vortreffliches, darwinistisches Gesetz, das die im internationalen Maßstab leistungsstärksten Wissenschaftler, Teams, Laboratorien und Einrichtungen ermutigt und Energien mobilisiert“, Antoine Petit in Les Echos, 26.11.2019) Fachleute aus der Biologie und anderen Disziplinen haben rasch darauf hingewiesen, dass diese Annahmen weder durch Darwins Theorie noch durch Wissenschaftsforschung gedeckt sind. Eine im Dezember lancierte, von 15.000 Forschenden unterzeichnete Petition hebt hervor, dass Auslese im Sinn Darwins keineswegs ein “Prozess kollektiver Optimierung” ist (sondern vielmehr die Individuen begünstigt, die den Umweltbedingungen am besten angepasst sind, teilweise zum Schaden ihrer eigenen Gruppe), dass die in Frankreich in dieser Form neue, andernorts bereits leidvoll erprobte akademische Konkurrenz vor allem strategisches Verhalten von Wissenschaftler*innen belohnt und dass eine Konzentration finanzieller Ressourcen erwiesenermaßen weniger produktiv ist als ihre breite Verteilung (die Petition kann hier unterzeichnet werden). De facto schrumpfende finanzielle Mittel sollen zu steigenden Anteilen nach einer kompetitiven Projektlogik vergeben werden – was auch zu Verschleierung der Budgetkürzungen führt. Andere Beiträge ergänzen, dass der ausufernde Prestige- und Ressourcenwettbewerb in der französischen Wissenschaft auch einen Anstieg von Fehlverhalten, Betrug und nichtreproduzierbaren Ergebnissen bedingt hat; das Resultat sei „natural selection of bad science“ (zit. n. Philippe Huneman, ).

Der politische Kampf ist – auf nationaler wie internationaler Ebene – weiter zu führen, denn wir haben vielfach erfahren, dass auch intellektuell widerlegte Wissenschaftsmanager praktisch Schaden anrichten.

Bereits jetzt, seit dem 20. Februar, wird auch in Großbritannien gestreikt. Dort waren schon 2018 und 2019 bittere Arbeitskämpfe geführt worden, um die Umwandlung der garantierten Ruhestandszahlungen in individuelle, finanzmarktabhängige ‚pension funds‘ zu verhindern. Schätzungen (samt derer der Arbeitgeber) haben als Effekt einen durchschnittlichen Pensionsverlust in Höhe von 10 bis 40% kalkuliert – „a textbook case of the dismantling of a shared good through financialisation“ (Waseem Yaqoob im Blog der London Review of Books, 16.2.2018). Die Streiks haben diese Gefahr trotz Zwischenerfolgen nicht abwenden können; eine Kommission, die die geplante Reform evaluieren soll, ist zum neuen Gegenstand der Sorge und Auseinandersetzung geworden. Gegenwärtig stehen neben diesem weiterhin schwelenden Thema Zero-hour-contracts (also der völlig bedarfsabhängige Einsatz akademischer Arbeitskräfte, ohne garantiert bezahlte Mindestarbeitszeit), die gesundheitsgefährdende Arbeitsbelastung, gender pay gap und ethnicity pay gap im Zentrum des Konflikts. Bis zu 50.000 Hochschul-Mitarbeiter*innen sollen sich in den 14 Streiktagen bis zum 13. März beteiligen (The Guardian, Sally Weale und Laith Al-Khalaf, 20.2.2020). Kolleg*innen in Großbritannien sehen mittlerweile alle Grenzen überschritten: „This feels like a fight now for the soul of academia, of universities. And it feels (to someone of my age) like the miners’ strike, which is both encouraging and really scary” (Mitglied der University of Birmingham, E-Mail-Kommunikation). In Frankreich laufen derweil die Aktivitäten auf Hochtouren, um am 5. März alle Tastaturen still stehen zu lassen, Lehre und Forschung auszusetzen.

Das Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft unterstützt diese (von allen Beschäftigtengruppen getragenen) Widerstände ausdrücklich und wünscht sich verstärkte Tätigkeiten und Unterlassungen dieser Art auch in Deutschland. Immer mehr Zeichen sprechen dafür, dass hier der auf allen Ebenen längst eingerichtete Wettbewerb die Wissenschaftskultur ernsthaft beschädigt; selbst eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem DHV beauftragte Umfrage unter Professor*innen hat kürzlich massive Unzufriedenheit mit Arbeitsüberlastung und aufgeblasener Antragsbürokratie dokumentiert. Der ungleich stärkere existenzielle Druck, unter dem der sogenannte wissenschaftliche Nachwuchs steht, beeinträchtigt nicht nur die wissenschaftliche Neugierde, Kreativität, Eigenständigkeit und Entdeckungsfähigkeit, er zieht auch große Beeinträchtigungen im Privatleben, etwa bei der Familiengründung nach sich, die vielen französischen Kolleg*innen bisher noch erspart geblieben sind.

Die verschiedenen nationalen Spielarten des akademischen Neoliberalismus scheinen darum zu wetteifern, die in der Wirtschafts- und Sozialpolitik offenkundig blamierte Strategie einer Ausweitung von Märkten und Quasi-Märkten so weit wie (un)möglich weiterzutreiben. Die Resultate ähneln sich in Ländern, auch weit über Europa hinaus, u.a. in Asien und in den USA, wo schon länger die Streikaktivität wächst: Prekarität, Überlastung, Wettbewerbsbürokratie, Prestigekonkurrenz, verschärfte Ungleichheit und eine langfristige Beschädigung von Forschung und Lehre. Es wird höchste Zeit, dass die Wissenschaftler*innen auch in Deutschland aktiver dagegen aufstehen. Der Sozialdarwinismus und die neoliberale Politik gehören der Vergangenheit an, in der Zukunft brauchen wir große Zuwächse an Solidarität, um das zivile Zusammenleben auf einem intakten Planeten sicherzustellen. Umso nachdrücklicher bekunden wir den französischen und britischen Wissenschaftler*innen gegenüber unsere Solidarität. Wir wissen, sie kämpfen auch für uns. Es wird Zeit, sich ihnen auch praktisch anzuschließen.

Call for Participation

„Precarious Internationale: solidarity network meeting“ of the Network for Decent Labour in Academia, Berlin, June 5, 2020

Deadline for application: February 15, 2020

 

Dear all,

many of us have made and continue to make disenchanting experiences, to say the least, in the German academic system. While it markets itself as a world of excellence, liberal egalitarianism, cosmopolitanism, freedom and generosity towards scholars at risk, the reality of its structural labour conditions and culture of ignorance betray this image to be a grotesque misrepresentation. German academia is characterised by an ingrained and almost cultivated lack of consciousness towards multiple forms of discrimination (based on race, class, gender, age, etc.) and by related modalities of exclusion as well as paternalistic and infantilizing norms and practices particularly vis-à-vis international and non-naturalized scholars and students. As a system that has never been as much as confronted with a debate on quotas or human rights, German academia expects everybody to ‘integrate’ into what is essentially a structure normatively built around the ‘white male’ and organised according to steep hierarchies around disciplinary chairs. The consequences are direct dependencies of various kinds and precarious, fixed-term employment structures unparalleled by international comparison.

Many who came here with hopes and expectations have meanwhile withdrawn, tending to pressing political issues in other ways. While very much understandable, this inadvertently strengthens the fragmentation and division among the large class of underprivileged and precarious scholars that the system relies upon. The Network for Decent Labour in Academia (Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft, NGAWiss) has been working for the past three years to publicise and scandalise the miserable employment conditions in German academia and to advocate for structural reforms. Its working group ‘Precarious Internationale’ aims to make intersectional discrimination a central issue of the network’s activism.

As a part of this effort, this workshop wants to bring together scholars, unionists and activists with different histories of mobility and migration to discuss and reflect on the intersection between precarious labour conditions and different forms of discrimination in the German academic system. We want to come together and learn from each other in order to come to a better analysis of the different problems and challenges faced by differently positioned scholars and activists, but also to exchange experiences and knowledges over struggles for academic freedoms and labour conditions in different contexts. The aim is both to position the question of labour in academia within broader societal struggles in Germany and to link it up to related struggles in other countries.

We propose to frame the workshop along two lines of debate and exchange. However, we are very much open to alter and adapt this proposal according to what participants consider urgent and relevant to be discussed!

 

  • Critical diversity: As against a neoliberal depoliticised celebration of diversity that follows a calculative logic of added value while blanking out structural inequalities, we want to engage in a critical discussion on the realities of diversity in German academia.Possible questions to be discussed include: what are the effects, limitations and problems of current discourse and practices of diversity? Is it possible – and acceptable – to speak of ‘race’ and ‘ethnicity’ in the European and especially German context? When does it make sense to speak of ‘migration backgrounds’ to address the issue of underrepresentation of scholars in high academic positions? What are the concrete problems and challenges faced by people with a variety of different migration/mobility histories? What about forms of discrimination affecting people who do not master the German language? And how do these issues intersect with other vectors of discrimination, such as class, age, gender or disability?

 

  • Network of solidarity: We want to learn from each other’s struggles and experiences, think through concrete possibilities for solidarity and envision common political actions.How can we connect the activities of scholars, unionists, and activists struggling against precarious labour and different forms of inequality and discrimination in different academic settings? What are the larger political struggles in which these activities are involved? How and what can we learn from each other? What kinds of concrete steps towards mutual assistance could be developed and what common political actions could be envisioned?

Please let us know (alice.bieberstein@hu-berlin.de) by FEBRUARY, 15 2020 whether (1) you would like to participate in this workshop! In your answer, please indicate (2) whether there is a topic or issue of special INTEREST of URGENCY to you that you would want to see addressed in the workshop. Please also let us know (3) whether you would want to join with a specific contribution of any kind (presentation, film, artistic intervention, etc.). We absolutely want to make sure that lack of personal funds does not stand in the way of your participating. Private accommodation can be provided, and we are looking into options of supporting travel expenses. Please do let us know your needs and we’ll get back to you with possibilities.

 

Contact:

Dr. Alice von Bieberstein
Institut für Europäische Ethnologie
Centre for Anthropological Research on Museums and Heritage
Humboldt-Universität zu Berlin
alice.bieberstein@hu-berlin.de

Download Call for Participation

For information on the Network, see: https://ngawiss.uber.space/information-in-english/