Forderungen des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft
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Für faire Beschäftigung an deutschen Hochschulen!

Forderungen des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft

 

Unsere Forderungen zusammengefasst

 

    1. Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes
    2. Angemessene tarifliche Bezahlung und Mindestvertragslaufzeiten für studentische Hilfskräfte, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Regelfall für die Promotion sowie die regelhaft entfristete Beschäftigung für Post-Docs
    3. Abschaffung der Habilitation als Qualifikationsstufe
    4. Angemessene Entlohnung von Lehraufträgen und Titellehre
    5. Abbau von Ungleichheiten und verbindliche Maßnahmen für diskriminierungsfreie Verhältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
    6. Auflösung der Lehrstühle zugunsten einer demokratisch organisierten De­partmentstruktur
    7. Umstellung vom Projektbetrieb auf den Ausbau der Grundfinanzierung der Hochschulen in Anpassung an die realen Studierendenzahlen
    8.  

Ausführliche Darstellung [PDF]

 

Prekarität statt Exzellenz

Das ist die vorherrschende Realität im deutschen Wis­senschaftssystem, das aller beschönigenden Selbstdarstellung zum Trotz struk­turell auf unsicherer Beschäftigung und nicht selten auf Dumpinglöhnen basiert. Über 80% der Stellen im sogenannten wissenschaftlichen Mittelbau an deutschen Hochschulen sind befristet, und für die Mehrheit der so beschäftigten Wissenschaftler*innen besteht keine Aussicht auf Verbleib in der Wissenschaft, obwohl sie bundesweit einen Großteil der regulären Forschung und Lehre stemmen. Dies ist ein gesellschaftlicher Skandal, der nicht dadurch gemil­dert wird, dass sich befristete Arbeitsverhältnisse – wenngleich in deutlich ge­ringerem Ausmaß – auch außerhalb des Hochschulbetriebs ausbreiten. Wissen­schaft ist kein Abenteuerurlaub auf eigenes Risiko, sondern ein Beruf, der mehr­heitlich von hoch qualifizierten, motivierten und engagierten Menschen ausge­übt wird. Im deutschen Wissenschaftssystem werden sie allerdings bis ins fünfte Lebensjahrzehnt als eine Art Edel-Praktikant*innen behandelt: In der euphemi­stisch als „Qualifikationsphase“ bezeichneten Zeitspanne zwischen Studienab­schluss und Professur werden Absolvent*innen, Promovierte und Habilitierte regelhaft nur befristet eingestellt und bei erheblichem Leistungs- und Konformi­tätsdruck in existenzieller Abhängigkeit von den jeweiligen Lehrstuhlinha­ber*innen gehalten. Dadurch wird sowohl die berufliche Laufbahn (und damit die individuelle Lebensplanung) unberechenbar als auch die freie Ausübung wissenschaftlicher Arbeit (und damit deren Qualität) gefährdet. Die erstaunlich langlebige Tradition der Ordinarienuniversität wirkt hier fatal mit dem marktförmigen Umbau des Hochschulsystems zusammen.

Wir, Promovierende, Post-Docs, Lehrbeauftragte, Privatdozent*innen, Projekt­mitarbeiter*innen, studentische Beschäftigte und Professor*innen an deutschen Hochschulen, sind nicht länger bereit, diesen Zustand stillschweigend mitzutragen. Deshalb haben wir das fächerübergreifend und bundesweit aktive Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft gegründet. Gemeinsam fordern wir eine grundlegende Reform des deutschen Hochschulsystems, orientiert an folgenden Kernpunkten:

 

 

1. Kein Sonderbefristungsrecht für Hochschulen

 

Wir brauchen entfristete Beschäftigungsverhältnisse als Standard spätestens nach der Promotion. Nur so können Wissenschaftler*innen sowohl ihre berufliche Wei­terentwicklung als auch ihre private Lebensplanung sinnvoll gestalten und an­spruchsvolle und unabhängige, kurz: gute wissenschaftliche Arbeit leisten. Eine wesentliche Grundlage der katastrophalen Beschäftigungssituation im akademi­schen Mittelbau bildet das 2007 verabschiedete Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Es soll Dauerbefristungen im Hochschulbereich verhindern, macht aber befristete Beschäftigung zum Normalzustand. Auf Basis des WissZeitVG sind vertragliche Beschäftigungsfristen von wenigen Monaten bis im günstigeren Fall zwei bis drei Jahren zur Regel geworden. Diese zwingen oftmals zu beschäfti­gungslosen Überbrückungsphasen, die – nicht selten unter Bezug von Arbeitslo­sengeld oder Hartz-IV-Leistungen – mit unbezahlter Weiterqualifizierung und/oder Drittmitteleinwerbung verbracht werden müssen. Nach Ablauf der durch das Ge­setz erlaubten zwölf Jahre befristeter Beschäftigung sehen sich viele Wissen­schaftler*innen einem faktischen Beschäftigungsverbot ausgesetzt. Damit wird die ohnehin inakzeptable Beschäftigungssituation auf die Spitze getrieben. Es kann nicht sein, dass hochqualifizierte Fachkräfte im fortgeschrittenen Lebensalter nur noch zwei Optionen haben: entweder eine der wenigen Professuren zu ergattern oder irgendwann vom Arbeitsmarkt als nicht vermittelbare, weil hoffnungslos überqualifizierte und spezialisierte Fachkräfte ausgemustert zu werden.

 

Wir fordern: Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

 

 

2. Adäquate Stellenprofile für Doktorand*innen, Post-Docs und studentische Beschäftigte

 

Die Doktorarbeit stellt die zentrale Qualifikation für eine wissenschaftliche Lauf­bahn dar, wird aber in aller Regel nur mangelhaft finanziell abgesichert. Deshalb müssen verbindliche Mindestlaufzeiten für Erstverträge in der Promotionsphase eingeführt werden. Auch Faktoren, die die Promotionszeiten de facto verlängern, müssen finanziell wie zeitlich berücksichtigt werden: Elternzeit, Krankheits- und Angehörigenpflegezeiten, aber auch Lehre oder administrative Aufgaben. Ein realistischer Vorschlag, der sowohl die reale durchschnittliche Promotionsdauer als auch die tatsächliche Arbeitsbelastung der an Hochschulen beschäftigten Doktorand*innen in Rechnung stellt, sieht fünf Jahre Mindestlaufzeit plus ggf. ein Jahr Verlängerung vor (wie bereits üblich an niederländischen Hochschulen). Wichtig ist außerdem, Finanzierungsmodelle für die Übergangszeiten vor und nach der Promotion zu entwickeln.

Die Promotion sollte grundsätzlich als Voraussetzung für ein unbefristetes Ar­beitsverhältnis an einer Hochschule oder außeruniversitären Forschungseinrich­tung ausreichen. Wenn entfristete Stellen verschiedene inhaltliche Schwerpunkte in Forschung, Lehre und/oder Organisation haben, müssen Kernkompetenzen nicht länger bei Professor*innen konzentriert werden. Schwerpunkte können dann variabel gesetzt werden sowie wechseln, und auch ein Aufstieg zu verant­wortlicheren Positionen mit größeren Entscheidungsbefugnissen ist denkbar. Dem Problem, dass systematische Entfristung eine Generation auf Kosten der folgenden bevorzugen würde, kann durch eine schrittweise und langfristige Umwandlung der Stellenstrukturen begegnet werden. Die Behe­bung der dringlichsten Personalnot insbesondere im Bereich der Lehre erfordert jedoch eine Entfristungsoffensive in nächster Zeit.

Zwei Wege der Umsetzung bieten sich an: Entweder werden in großem Maßstab befristete „Nachwuchs“- und Mittelbaustellen durch Professuren ersetzt, oder nichtprofessorale Dauerstellen werden (nach dem Muster von Lecturer- und Rea­der-Stellen oder Akademischen Räten) massiv ausgeweitet, strukturell aufgewer­tet und mit zusätzlichen Befugnissen bzw. Optionen ausgestattet. Beide Wege las­sen sich kombinieren. Sie stellen aber unterschiedliche Anforderungen an die aka­demische Selbstverwaltung, in die alle nichtprofessoralen Beschäftigten gleichbe­rechtigt einzubinden sind. Demokratisierten Instituten (s. Punkt 5) kommt im Pro­zess der Umstrukturierung deshalb eine zentrale Rolle zu.

Um diese grundlegende Änderung akademischer Beschäftigungsverhältnisse er­folgreich umzusetzen, sollte die Abschaffung des Sonderbefristungsrechts für Hochschulen von gezielten Anreizsystemen und der Sanktionierung von Massen­befristungen flankiert werden. Insgesamt darf dieser Umbau aber keinesfalls zu einer Spaltung zwischen Forschenden und Lehrpersonal führen – etwa in befri­stete Projektmitarbeiter*innen und „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“, die (derzeit ebenfalls häufig befristet) ein so hohes Lehrvolumen zu bewältigen haben, dass eigene Forschung und wissenschaftliche Weiterentwicklung systematisch verunmöglicht werden. Forschung und Lehre müssen an Hochschulen verbunden bleiben.

Darüber hinaus fordern wir eine angemessene, d.h. an die allgemeine Lohnentwicklung im Öffentlichen Dienst angeglichene tarifliche Entlohnung aller studentischen Beschäftigten sowie eine Abkehr von den üblichen „Stückel-Verträgen“ in diesem Bereich.

 

Wir fordern: angemessene tarifliche Bezahlung und Mindestvertragslaufzeiten von studentischen Beschäftigten, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Standard für die ge­samte fachüblich angemessene Zeit der Promotion sowie die regelhaft entfri­stete Beschäftigung für Post-Docs.

 

 

3. Abschaffung der Habilitation: Der Doktorgrad reicht für eine Entfristung

 

Im internationalen Vergleich einigermaßen einzigartig ist auch die Habilitation, die u.a. die skandalöse Situation der Privatdozent*innen bedingt. So lange die Habilitation als Bedingung für die Berufung auf eine Professur regelhaft vorausgesetzt wird, ist die wichtigste Forderung hier die nach der angemessenen Entlohnung und Absicherung der Habilitierten (s. Punkt 4). Mittelfristig fordern wir aber die Abschaffung der Habilitation: Sie stellt weder ein sinnvolles Instrument zur fachlichen Bewertung noch zur Sicherstellung von Lehrkompetenz dar. Bei der heute gängigen Praxis entscheidet ein kleines Gremium des jeweils zuständigen Institutes oder Fachbereichs über Erfolg und Misserfolg der Habilitation. Eine an­gemessene fachliche Bewertung gerät dabei häufig mit institutionellen Interessen in Konflikt. Zweite und dritte Bücher oder substanzielle Veröffentlichungen sagen weit mehr über die Qualität der Forschung aus als die derzeitige Habilitationspra­xis. Darüber hinaus suggerieren Habilitationen, dass man erst nach ihrem Ab­schluss vollgültige*r Wissenschaftler*in ist. Die Fähigkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Arbeit wird jedoch mit der Doktorarbeit nachgewiesen. Formal gilt die Habilitation auch als Lehrbefugnis. De facto wird aber der größte Teil der Lehre von Nicht-Habilitierten getragen. Kurz: Der Schritt in die reguläre wissenschaftliche Beschäftigung muss nach der Promotion erfolgen – nicht erst in einem späten Lebensalter und mit reduzierten beruflichen Alternati­ven.

 

Wir fordern: Abschaffung der Habilitation als Qualifikationsstufe.

 

 

4. Lehraufträge und ‚Titellehre’ müssen angemessen entlohnt werden

 

Mit der Einführung regulärer, entfristeter Beschäftigungsverhältnisse muss auch die skandalöse Situation der nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Forschung und Lehre grundlegend reformiert werden. Lehraufträge sichern an vielen Hochschulen einen relevanten Anteil des grundständigen Lehrbedarfs, wer­den aber meist, wenn überhaupt, weit unter Mindestlohn oder bloß symbolisch honoriert. Wir fordern deshalb, dass Lehraufträge standardmäßig nicht zur Dec­kung des Lehrbedarfs herangezogen werden und zugleich, dass sie, sofern im Aus­nahmefall vergeben, dem Qualifikationsniveau und Arbeitsaufwand der Lehren­den entsprechend honoriert werden. Lehrbeauftragte sind keine Lehrenden zweiter Klasse und sollten deshalb – wie alle anderen Lehrenden auch – Mitglieder der Universität mit allen damit einhergehenden Rechten sein.

Dringend reformiert werden muss außerdem die unwürdige Situation der Privat­dozenten*innen, die ein Symptom für den im deutschen Universitätssystem bisher vorherrschenden eklatanten Verschleiß von Qualifikationen und menschlichen Ressourcen darstellt. Nach einer sehr langen Ausbildungs- und oft auch Arbeits­zeit, meist mit über 40 Jahren, müssen sie sich auf die Suche nach einer Professur begeben, was durchschnittlich sechs Jahre dauert und oft erfolglos bleibt. In dieser Zeit hangeln sie sich von Projektstelle zu Gastprofessur zu Stipendium zu Vertretung, häufig unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit. Mit dem Qua­lifikationsschritt der Habilitation verlieren sie zudem den Anspruch auf Bezahlung ihrer Lehrtätigkeit und werden zu unbezahlter ‚Titellehre‘ er­presst. Wir fordern, dass die derzeit zwischen 5.000 bis 7.000 an deutschen Uni­versitäten unbezahlt tätigen Privatdozenten*innen sowohl durch eine angemes­sene Bezahlung der Titellehre als auch durch anderweitige Förderinstrumente vor Prekarisierung und Altersarmut geschützt werden.

 

Wir fordern: angemessene Bezahlung nicht nur für vertraglich Beschäftigte, son­dern auch für Lehrbeauftragte und Privatdozent*innen.

 

 

5. Abbau von Ungleichheiten und Diskriminierung

 

Die prekäre Stellensituation in der Wissenschaft hat weitreichende Konsequenzen für die Reproduktion von Ungleichheiten im deutschen Hochschulsystem. Dies trifft gerade all jene, die nicht sozial abgesichert sind, die rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind, die zusätzliche Care-Arbeit leisten, die keinen deutschen Pass besitzen, deren Aufenthaltsstatus ungesichert ist, die körperlich eingeschränkt oder psychisch belastet sind. Trotz steigender Zahlen von Studienanfängerinnen und Promovendinnen sind etwa nur rund ein Viertel der Professuren und Hochschulleitungspositionen mit Frauen besetzt. Wissenschaftlerinnen sind häufiger befristet angestellt als ihre männlichen Kollegen. Noch weniger sind Schwarze Menschen und People of Colour in deutschen Hochschulen vertreten, ebenso Personen, die mit einer Behinderung oder chronischen Krankheiten leben. Ähnlich sieht es bei der Herkunft von Studierenden und Wissenschaftler*innen aus: Menschen, die aus nicht-akademischen Milieus kommen oder eine Migrations- beziehungsweise Fluchtgeschichte haben, werden deutlich seltener auf Professuren berufen als ihre nicht strukturell diskriminierten Kolleg*innen. Am häufigsten gelangen weiterhin weiße Männer aus den obersten Gesellschaftsschichten auf Professuren – mit sogar wachsender Tendenz sozialer Schließung.

Die Gründe liegen nah: Auf befristeten Verträgen kann sich den Zugang zu einer wissenschaftlichen Karriere und das Durchlaufen langwieriger Qualifikationsphasen nur leisten, wer ohnehin ökonomisch abgesichert ist. Ein Habitus, der zur angestrebten Führungsposition passt, erhöht zusätzlich die Aufstiegschancen. Aufwendige Pflege-, Haus- und Erziehungsarbeit, die in Deutschland weiterhin zu über drei Vierteln von Frauen geleistet werden und unter den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen mit einer Beschäftigung im Wissenschaftsbetrieb kaum zu vereinbaren sind, führen zum frühzeitigen Ausschluss oder Ausstieg hochqualifizierter Wissenschaftlerinnen aus dem System. Wissenschaftler*innen aus dem Ausland, die oft nur über Gastaufenthalte an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen beschäftigt sind, werden von der Politik gern als Aushängeschild für ein offenes Forschungsland Deutschland bemüht. Für die Mehrheit des globalisierten Wissenschaftsprekariats gibt es faktisch kaum eine Möglichkeit, im deutschen Hochschulsystem längerfristig Fuß zu fassen. Auch Altersdiskriminierung ist ein struktureller Bestandteil des deutschen Hochschulsystems. Im Befristungsunwesen werden Berufs- und Lebenserfahrung zugunsten der angeblich größeren Innovationskraft jüngerer Wissenschaftler*innen (die zudem in der Regel billiger sind) systematisch abgewertet. Jüngere Kolleg*innen werden somit als profitable und ausbeutbare ‘Ressource’, ältere als ‘Belastung’ adressiert. Dadurch erhält der infantilisierende Begriff des ‚wissenschaftlichen Nachwuchses’ eine zusätzlich diskriminierende Dimension.

Eine demokratische Universität muss Anforderungen an eine möglichst große Verringerung von Ungleichheit aufgrund von Klasse, ‘race’, Herkunft, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, Religion und Ability genügen. Angesichts der vorherrschenden Mängel im deutschen Wissenschaftssystem verlangt dies dringend verpflichtende Förder- und Antidiskriminierungsprogramme sowie strukturelle und diskursive Veränderungen. Notwendig ist dafür die Reform der neoliberal neu aufgewerteten feudalen Ordinarienuniversität, die eine Ballung von Macht auf patriarchal strukturierten Lehrstuhlprofessuren begünstigt. Klassen- und Geschlechtergleichheit sowie antirassistische Gesichtspunkte müssen verbindliche Kriterien bei der Stellenbesetzung werden. Sich, wie derzeit in Mode, “Diversität” nur auf die Fahnen zu schreiben, reicht nicht aus, wenn die Strukturen der Ungleichheit weiterhin reproduziert werden.

 

Wir fordern: den Abbau von Ungleichheiten und verbindliche Maßnahmen für diskriminierungsfreie Verhältnisse an Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

 

 

6. Auflösung der Lehrstühle, Demokratisierung der Institute

 

Wir streben ein partizipatives, kooperatives und kollegiales Miteinander aller an der Hochschule Tätigen an, das Kritik, Auseinandersetzung und Mitgestaltung er­möglicht, Hierarchien abbaut und Willkür verhindert. Das bestehende Beschäfti­gungssystem ist nicht nur ungerecht, sondern hat auch ein eklatantes Demokra­tiedefizit. Dessen Dreh- und Angelpunkt ist die Fixierung auf die Professur als ein­zig reguläre Lebenszeitstelle im Hochschulbetrieb. Mit der ubiquitären Befristung des wachsenden Mittelbaus, der Ausweitung drittmittelbasierter Forschung und einer stagnierenden Professurenzahl hat auch die professorale Macht gegenüber dem sonstigen wissenschaftlichen Personal weiter zugenommen. Der Drittmittelbetrieb und die sogenannte Exzellenzinitiative bzw. -strategie haben in erster Linie die Hierarchisierung und die massiven persönlichen Abhängigkeiten an Universitäten verstärkt.

Dies hat gravierende Folgen, die einer innovativen und kreativen Wissenschafts­kultur diametral zuwiderlaufen, wie etwa fehlende Diskussionskultur, Diversität und Konfliktbereitschaft (Anpassung an bestehende Strukturen, Forschungsrich­tungen, Fragestellungen, Arbeitsabläufe, Verzicht auf das Anzeigen von Mobbing, sexueller Belästigung, Plagiaten etc.), Vollzeitbelastung auf halben Stel­len, eine Arbeitsüberlastung der Professuren selbst durch immer ungünstigere Be­treuungsschlüssel, ausufernde Management-Aufgaben und zunehmend wichtige Output-Kennzahlen. Zudem unterstützt diese Struktur Machtkämpfe zwischen konkurrierenden „Hofstaaten“, bei denen gerade befristet beschäftigte Wissenschaftler*innen aufgrund ihrer Abhängigkeit aufgerieben werden. Die Fixierung auf die Professur hat aufgrund der völligen Alternativlosigkeit auch im Mittelbau (und der weiteren Öffentlichkeit) tiefgrei­fende psychische Auswirkungen und schwächt das Bewusstsein für den anti-demokratischen Charakter des Systems.

Wir fordern dagegen eine Demokratisierung auf allen Ebenen. Unmittelbar gilt es, die bestehenden Strukturen der akademischen Selbstverwaltung gegenüber aktu­ellen Tendenzen zur „unternehmerischen“ Herrschaft der Hochschulleitungen, Hochschulräte und drittmittelstarken Bereiche zu verteidigen. Mittelfristig geht es um eine Reform dieser Strukturen hin zu einem echten paritätischen System mit Gleichberechtigung aller beteiligten Gruppen (wissenschaftliches Personal, ggf. mit Professor*innen als eigener Gruppe, Studierende, nichtwissenschaftliche Be­schäftigte) in allen Hochschulgremien. Schließlich wird es für eine demokratische Hochschule unabdingbar sein, die Lehrstühle bzw. Arbeitsbereiche mit persönlich den Professor*innen unterstellten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen durch demokratisch selbstverwaltete Institute mit einer Bandbreite formal gleichberech­tigter, unbefristeter Positionen/Funktionsstellen zu ersetzen (wie es z.B. im angel­sächsischen Modell üblich ist). Entscheidungen über Personal, Mittelverteilung und wissenschaftliche Schwerpunkte müssen hier in kollegialer Auseinanderset­zung getroffen, begründet und ausgehandelt werden. Eine solche gemeinsame Verwaltung, eine differenzierte Arbeitsteilung und Personalstruktur sowie eine verallgemeinerte, kooperativ eingebettete Selbstbestimmung von Lehre und For­schung fördern nicht nur weniger hierarchische und verknöcherte Formen des Umgangs an Instituten. Sie gewährleisten auch nachhaltige wissenschaftliche Ar­beit der forschenden, lehrenden und lernenden Individuen, ermöglichen mithin eine echte und demokratische Qualitätssicherung.

 

Wir fordern: Demokratisierung der Hochschulen, Auflösung der Lehrstühle zu­gunsten einer demokratisch organisierten Departmentstruktur.

 

 

7. Die Grundfinanzierung der Hochschulen stärken

 

Die schleichend erfolgte Umstellung akademischer Forschung auf Drittmittelfinan­zierung wird zwar regelmäßig als Problem benannt, aber nicht effektiv bekämpft. Dabei handelt es sich um eine klare Fehlentwicklung: Drittmittelfinanzierung ver­stärkt Prekarität und unwürdige Abhängigkeitsverhältnisse, erschwert längerfri­stige Planungen, fördert Antragsfassaden und Beutegemeinschaften – und sie ver­geudet Arbeitsressourcen in großem Ausmaß, da auch nicht bewilligte Anträge Zeit kosten und unnötige Bürokratie erzeugen. Diesem Kräfteverschleiß sind be­sonders diejenigen ausgesetzt, die sich noch „qualifizieren“ müssen und eigene Forschungsziele finden sollen. Die Finanzierung durch Verbundprojekte schränkt zudem die geforderte Eigenständigkeit der Forschung drastisch ein, und auch bei unabhängiger Förderung stimmen faktische Projektlaufzeiten selten mit den zeitli­chen Erfordernissen von Qualifizierungsvorhaben überein.

Angesichts dessen müssen Bund und Länder dafür sorgen, dass Hochschulbudgets ausreichen, um kontinuierliche, freie und angemessen bezahlte Forschung und Lehre mit umfassender Betreuung der Studierenden zu gewährleisten. Wachsende Studierendenzahlen dürfen nicht länger ‚unsichtbar’ durch unbezahlte Arbeit (im Rahmen von Lehraufträgen, Titellehre und Professur-Vertretungen) und Mehrbe­lastung der Beschäftigten kompensiert werden. Da für ein regulär beschäftigtes akademisches Personal mit normalem Altersdurchschnitt kaum mehr Mittel nötig sind als für dauerprekarisierten „Nachwuchs“, halten sich die durch eine Entfri­stungsoffensive verursachten Zusatzkosten in Grenzen.

Die Aufhebung des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern bietet eine wesentliche Grundlage für den nötigen Umbau: Statt immer neue Initiativen und Wettbewerbe einzurichten, sollte sich die Bundesregierung nach dem auslaufen­den Hochschulpakt 2020 auf eine dauerhafte Hochschulunterstützung verpflich­ten. Diese Unterstützung muss verbindlich dem Zweck dienen, wissenschaftliche Dauerstellen an den Hochschulen zu schaffen. Ihre Bemessungsgrundlage sollten die Zahl der jeweils faktisch Studierenden und sinnvolle Betreuungsschlüssel sein.

Darüber hinaus schlagen wir eine Umschichtung des DFG-Etats und der BMBF-Projektförderung zugunsten regulä­rer Budgets an den Instituten sowie eine stärkere Anbindung außeruniversitärer Forschungsinstitute an die Universitäten vor. In geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern kann diese Umschichtung einen Großteil des aktuellen Förderhaushalts umfassen; ein ent­sprechender Teil des DFG-Verwaltungspersonals kann dann an die Hochschulen wechseln. Eine umgekehrte Strategie besteht darin, mit Forschungsmitteln Dauer­stellen in hochschulnahen Einrichtungen zu finanzieren (wie etwa im französi­schen Centre National de la recherche scientifique); die Kooperation von For­schungseinrichtungen wie der Helmholtz-Gemeinschaft und der Max-Planck-Ge­sellschaft mit Universitäten könnte in diesem Sinne weiter ausgebaut werden.

 

Wir fordern: Umstellung vom Projektbetrieb auf den Ausbau der Grundfinanzie­rung der Hochschulen in Anpassung an die realen Studierendenzahlen.

 

 

Ein Wort zu den Gegenargumenten

Die gängigen Argumente gegen die hier skizzierte, überfällige Reform gehen von der Annahme aus, dass abgesicherte Karrierewege die Innovationsfähigkeit und personelle Flexibilität des deutschen Hochschulsystems gefährden. Das ist nicht nur deshalb erstaunlich, weil man in anderen Ländern problemlos ohne Massen­befristung und damit systematische Prekarisierung von Wissenschaftler*innen auskommt. Die Vorstellung, dass Forschung und Lehre durch hohe Fluktuation in­novativ bleiben, entbehrt darüber hinaus auch der fachlichen Logik: Daueraufga­ben erfordern Dauerstellen, auf denen die in einem Bereich gewonnenen Erfah­rungen produktiv eingesetzt werden können. Und Wissenschaftler*innen einer überdurchschnittlichen Existenzangst auszusetzen, fördert nicht Innovation, son­dern Demotivation, Erschöpfung, Anpassung und die Orientierung an Forschungs­trends und -moden. Gute wissenschaftliche Arbeit hingegen braucht ein Min­destmaß an Sicherheit für diejenigen, die sie ausüben, um Langfristigkeit, freies Denken und stabile Ergebnisse zu gewährleisten. Nicht zuletzt würden mit siche­ren Beschäftigungsperspektiven an deutschen Hochschulen und Forschungsein­richtungen auch die geforderte internationale Mobilität von Wissenschaft­ler*innen erleichtert und tatsächliche internationale Kooperation ermöglicht, statt ein für die individuelle Lebensplanung wie Qualität der wissenschaftlichen Arbeit oftmals destruktives Arbeitsnomadentum zu erzwingen.