18 Jun #IchbinHanna und die Antwort des BMBF – Was dabei vergessen wird: Das Gesetz kreiert ein wissenschaftliches Prekariat
Seit Tagen teilen unter dem Hashtag #IchbinHanna tausende Wissenschaftler:innen bei Twitter ihren prekären Arbeitsstatus an Hochschulen, listen die Zahl ihrer Arbeitsverträge auf, beschreiben den Druck, die Angst und die Zwangsmobilität, denen sie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) aussetzt. Den Anlass hierfür, ein Wissenschaftsanwärter:innen wie Sechsjährige ansprechendes Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das Dauerverträge als “Verstopfung” des Wissenschaftssystems und permanente Personalfluktuation als innovationsfördernd darstellte, hat das Ministerium inzwischen von seiner Website gelöscht. Die Zeichentrick-Protagonistin namens “Hanna”, die brav lächelnd beherzigt, dass frühzeitige Beratung ihr helfen wird, sich im Zweifelsfall rechtzeitig als späteres Innovationshindernis zu erkennen, hat Hunderten echter Wissenschaftler:innen das Stichwort dazu gegeben, erneut auf ihre prekäre Lage hinzuweisen. Seitdem gibt das BMBF sich in verschiedenen Statements bemüht, den – von einer wachsenden Zahl von Medienberichten flankierten – Twittersturm zu beruhigen. Am Sonntag, den 13.06.21, reagierte es mit einem schriftlichen, anonymen (bezeichnenderweise mit einem leeren Rednerpult bebilderten) Kommentar. Auf neuerliche Kritik hin legte es am 17.06. ein Video nach, in dem Staatssekretär Wolf-Dieter Lukas persönlich den Standunkt des Ministeriums zur Diskussion um #IchBinHanna erläutert. Warum keines dieser Statements der Debatte auch nur annähernd gerecht wird, sei hier noch einmal zusammengefasst.
Wiederholung und Ignoranz
Das Statement des BMBF überrascht wenig. Es wiederholt lediglich, was in dem Erklärvideo zum WissZeitVG, welches dem Hashtag seinen Namen gab, bereits vermittelt wurde: das Gesetz würde Innovation fördern und neuen Wissenschaftler:innen die Möglichkeit geben, an Hochschulen Fuß zu fassen. Die Antwort ist somit quasi eine neuformulierte Version des mittlerweile gelöschten Erklärvideos des BMBF zum WissZeitVG. Auch die nachgeschobene Erklärung des Staatssekretärs wiederholt diese Aussage – ergänzt durch die Beteuerung, dass viele Initiativen für die jungen Wissenschaftler:innen ergriffen worden seien. Dass die genannten Initiativen (Exzellenstrategie, Zukunftsvertrag und Tenure-Track-Programm) keine strukturelle Verbesserung versprechen und den überhitzten Wettbewerb zum Teil noch weiter befeuern, wird nicht erwähnt.
Ignoriert werden auch vorliegende Reformentwürfe, von den Gewerkschaftsforderungen zu “Wissenschaft als Beruf” über das Department-Modell der Jungen Akademie bis zu unserem Papier “Personalmodelle für Universitäten in Deutschland. Alternativen zur prekären Beschäftigung”. Alle diese Entwürfe schildern Möglichkeiten, die Befristungspraxis nachhaltig einzuschränken oder grundsätzlich abzuschaffen. Wir haben unser Papier im März dieses Jahres ans BMBF geschickt und bisher keine Antwort erhalten. Vielleicht wäre dafür jetzt ein guter Zeitpunkt gekommen!
Die Mär der jungen Wissenschaftlerin
Das Ministerium räumt ein, dass die “Befristung von Verträgen gerade jüngere Akademikerinnen und Akademiker vor erhebliche Herausforderungen stellt”. Dabei wird übergangen, dass betroffene Wissenschaftler:innen – Postdocs – zumeist über 30, 40 oder (sofern sie in Projekten beschäftigt sind oder zeitweise keinen Job in der Wissenschaft hatten) sogar über 50 Jahre alt sind. Promotionen, die oft ohne feste Finanzierung begonnen und aufgrund regelmäßig zu kurz befristeter und/oder mit anderen Aufgaben versehener “Qualifikationsstellen” sehr häufig prekär abgeschlossen werden, sind nicht einmal eigens erwähnt. Die mitfühlende Formulierung verschleiert also den tatsächlichen Status Quo.
Die Jüngeren werden aber auch für das wesentliche (und fast einzige) Argument des Ministeriums angesprochen. Die Befristungspraxis soll “nachfolgenden Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Chance auf Qualifikation” geben. Faktisch heißt das: Wir müssen regelmäßig viele akademische Beschäftigte loswerden, um neue anzuwerben, die dann ebenfalls wieder nach ein paar Jahren entsorgt werden müssen. Tendenziell zynisch schiebt das BMBF nach: “Zudem lebt die Wissenschaft von neuen Impulsen”. Im Klartext würde dies bedeuten, dass unbefristet Beschäftigte an den Hochschulen weniger innovativ arbeiten würden und dass von erfahrenen Wissenschaftler:innen, die nicht mehr zu den ‘Jüngeren’ zählen, keine neuen Impulse mehr zu erwarten sind. Ausgenommen sind hier vermutlich Professor:innen, für die man in dieser Argumentation gern eine unerklärte Ausnahme macht.
Die nicht endende Qualifizierung
Eine Hauptrolle spielt in der Antwort des BMBF die “Qualifizierung”, die zur Innovation beitragen und eine Befristung rechtfertigen würde. Dabei wird nicht erwähnt, dass sich diese Qualifizierung über sechs bis zwölf Jahre erstreckt und äußerst unterschiedlich gefüllt werden kann. Neben Promotionen und Habilitationen lässt das WissZeitVG auch verschiedenste andere, von Arbeitgeber:innen frei zu definierende wissenschaftliche Tätigkeiten als Qualifikationszweck zu. Die Antwort des BMBF unterscheidet nicht einmal, ob die zu Qualifizierenden hauptsächlich an einer großen Abschlussarbeit wie der Promotion arbeiten oder ob sie Aufgaben in Forschungsunterstützung, Lehre und Verwaltung erfüllen, die an Hochschulen eben anstehen. Vor diesem Hintergrund überrascht es, wie selbstverständlich das Ministerium die Wissenschaft mit Berufen vergleicht, in denen das Wort Qualifikation einen klaren, begrenzten Sinn hat: “Es ist auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbreitet, dass Arbeitnehmer während der Qualifikationsphase befristet tätig sind. […] Das ist im Wissenschaftssystem nicht anders als auf anderen Arbeitsmärkten.” Da das WissZeitVG dafür sorgt, dass der akademische Arbeitsmarkt sehr besondere Eigenschaften hat, ist der Vergleich mit anderen Arbeitsmärkten nicht haltbar.
Insbesondere ist es absurd, unter dem Titel “Qualifizierung” die Postdoc- und Habilitationsphase mit der Promotionshase gleichzusetzen. Die Statements des BMBF sind in dieser Hinsicht so unterkomplex, dass sie unsinnig werden. So gut wie niemand fordert, alle Promovierenden zu entfristen – und umgekehrt qualifiziert (mit kleinen Ausnahmen in der Medizin) keine Habilitation für außerwissenschaftliche Berufe und Positionen!
Das BMBF hat am OECD-Bericht “Reducing the Precarity of Academic Research Careers” (2021) mitgeschrieben. Es wäre schön, wenn die Botschaften dieses Papiers auch beherzigt würden. Leider kommt der Bericht ohne eine vergleichende Statistik aus. Sonst wäre zu sehen gewesen, wie miserabel Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern dasteht. Immerhin wird darauf hingewesen, dass in Deutschland 77% der Postdocs an Hochschulen und 72% in Außeruniversitären Forschungseinrichtungen befristete Verträge haben. Denn gerade für diese Karrierephase begründet das WissZeitVG eine absolute Außenseiterrolle Deutschlands im internationalen Vergleich. In den Twitter-Reaktionen haben sich etliche auch hierzulande hoch angesehene Forscher:innen zu Wort gemeldet, die mittlerweile im Ausland arbeiten und erklären, wie viel produktiver sie seien, seit man sie wertschätzt, indem man ihnen unbefristete Verträge zugesteht, und sich keine Rückkehr nach Deutschland mehr vorstellen können. Sollte nicht mindestens dies dem Ministerium zu denken geben?
Schuld sind die Anderen
“Im Übrigen geht es in dem Gesetz ausdrücklich um die Möglichkeit einer Befristung, aber nicht um eine Befristungspflicht”, lässt das Ministerium wissen, und: “Das Gesetz muss gelebt werden”. Das BMBF gibt in seinen Stellungnahmen also wie gewohnt großzügig Verantwortung ab. Die notwendigen gesetzlichen Bedingungen seien geschaffen, nun müssten die Länder und Hochschulen sie einfach verantwortlich ausfüllen. Zumal werden die bescheidenen und nicht verbindlichen Zugeständnisse, die der Zukunftsvertrag an Forderungen der Kampagne “Frist ist Frust” gemacht hat, als große Vorleistung des Bundes für bessere Beschäftigungsverhältnisse angepriesen – seltsamerweise in einem Atemzug mit der Exzellenzstrategie: “Mit diesen beiden dauerhaft geltenden Vereinbarungen verbinden wir die klare Erwartung an Länder und Hochschulen nach mehr Dauerstellen in Studium und Lehre.” So klar, wie es dieser Satz nahelegt, wurde die Erwartung in der Exzellenzstrategie nicht formuliert. Heuchlerisch ist aber vor allem das Grundargument: Wir geben den anderen ja nur die Möglichkeiten, die sie (in sehr geringem, aber nicht mehr in unserer Verantwortung liegenden Ausmaß) nutzen sollen, also sind wir nicht schuld. Anders gefasst: Wir stellen den Gesamtrahmen der irgendwie innovationsförderlichen Fluktuation bereit, die damit verbundenen menschlichen Schicksale haben aber natürlich die Hochschulen zu verantworten.
Permanente Erfahrungsvernichtung
Hinterfragenswert ist insbesondere der vom BMBF wiederholt verwendete Begriff “Innovation”. Die Logik der Argumentation scheint vorauszusetzen, dass Innovation Anfänger:innenwissen in Massen braucht, auf vertiefte Einsichten durch Erfahrung aber verzichten kann. Oder ist die wirkliche Pointe der Befristungspraxis eine ganz andere? Vielleicht traut man “jungen” Wissenschaftler:innen eigentlich gar nicht zu, dass sie selber denken, will aber ihre Zuarbeit sicherstellen, damit die Professor:innen besonders innovativ sein können – besonders diejenigen, die das Denken breit delegieren können? Und falls dieser Verdacht überzogen scheint, sollte man noch einmal auf die entsprechende Praxis schauen: Weshalb arbeiten die befristet Beschäftigten fast durchgängig in persönlicher Abhängigkeit von den Professor:innen – und wann kommt dann das WissZeitVG für die Professor:innen selbst? Bei Juniorprofessuren und Nachwuchsgruppenleiter:innen wird zwar bereits mit entsicherten Führungspositionen experimentiert. Grundsätzlich verlässt sich das BMBF aber wohl darauf, dass die Aufteilung in eine kleine gesicherte und eine große prekäre Zone akademischer Beschäftigung insofern für Stabilität sorgt, als sie ein steiles Machtgefälle implementiert. Der anhaltende Twittersturm lässt allerdings ahnen, dass die große Mehrheit im wissenschaftlichen Personal, deren Leistungen und Erfahrungen dabei permanent entwertet und entsorgt werden, sich in Zukunft nicht mehr nur in den sozialen Medien zur Wehr setzen wird.