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Aktuelles
Red.: Dieser Kommentar erschien erstmals auf dem https://research.table.
Deutschland hat die Wahl zwischen Vorzeigeforschung und Arbeitsfähigkeit, konstatiert Tilman Reitz vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft. Er unterbreitet einen weiteren Vorschlag zur Exzellenz-Debatte – und kündigt Fragen an die Verantwortlichen an.
Fast alle wissen, dass sich an den deutschen Hochschulen Finanzierungsnöte ausbreiten. Fast alle sehen, dass sich der Wettbewerb um Projektfinanzierung überhitzt hat. Damit liegt es nahe, Fördermittel in die Grundfinanzierung zurückzuverlagern. Wie das gelingen kann, ist jedoch höchst umstritten.
Thorsten Wilhelmy hat die Exzellenzstrategie in diese Debatte gebracht; zugunsten besserer Breitenförderung solle das Programm eine Runde pausieren. Wilhelmy nennt auch unsere Initiative „Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb“, in der wir ein lernendes Manifest zum Thema entwickeln. Er teilt jedoch nicht unsere Lösungsidee. Die heutigen Projektmittel wieder direkt in die Hochschulhaushalte zu leiten, erscheint ihm nicht machbar – die Landeshaushalte drohten das Geld nur zu schlucken, und eine Bundes-Grundfinanzierung verlange zu große rechtliche Umbauten. Stattdessen nimmt er den Vorschlag des Wissenschaftsrats auf, die Overhead-Pauschalen für Projekte zu erhöhen.
Grundfinanzierung könnte auch zur Sicherung realer Wissenschaftsfreiheit beitragen
Diese Idee droht den Wettbewerb allerdings bloß andersartig anzuheizen. Ich möchte hier ausführen, dass nur eine wirkliche Wende zur Grundfinanzierung sinnvolle Exzellenz-Korrekturen verspricht. Da die politische Situation in den Ländern nicht einfacher wird, könnten sie auch zur Sicherung realer Wissenschaftsfreiheit beitragen.
Auf Wilhelmys Text haben bei Research Table Annette Schavan und Georg Schütte reagiert. Auch Edelgard Bulmahn wurde zum Thema befragt, geht auf die neueren Debatten jedoch kaum ein. Die anderen beiden teilen die verbreitete Problemsicht: Für Schavan sind die Hochschulfinanzen „angesichts sinkender Grundfinanzierung durch die Länder und […] wachsender Drittmittel durch den Bund fragil“ geworden, und Schütte kennzeichnet die Gesamtlage als „überhitzt“. Die Lösungsvorschläge differieren jedoch gewaltig.
Das spricht gegen Option 1: Weiter so!
Annette Schavan empfiehlt keine Reformen – besonders nicht bei der Exzellenzstrategie. Der Exzellenztitel habe deutsche Standorte international viel bekannter gemacht; zudem habe das Programm Neuerungen wie den Europäischen Forschungsrat „inspiriert“. Zu klären bleibt, ob man nicht auch preiswerter sichtbar werden kann und wozu es noch weitere Einrichtungen braucht, die viele Anträge anlocken, um wenige Vorzeigeforschung zu fördern.
Schavan weist aber zu Recht darauf hin, dass auch Wilhelmys Vorschlag die Logik der Kurzfristigkeit fortsetzt: Sonderforschungsbereiche sind nicht nachhaltiger als Exzellenzcluster. Und erhöhte Pauschalen würden das Projektgeschäft zunächst attraktiver machen, bevor vielleicht einige ganz aufgeben. Gute Vorschläge sind im gegebenen Rahmen nicht zu erkennen.
Das spricht gegen Option 2: Inhaltliche Forschungssteuerung
Ein anderer Ansatz bestünde darin, die Projektfinanzierung zur inhaltlichen Steuerung zu nutzen. Georg Schütte argumentiert dafür, die Wissenschaft so auf Probleme der Zeit auszurichten. Auch Bulmahn scheint den Ansatz zu teilen, wenn sie für „Forschungscluster“ zu „Klimawandel […], Global Health und KI“ wirbt. Die Exzellenzstrategie ist allerdings nicht spezifisch auf diese Themen ausgerichtet. Zugleich werden Forschungen nicht unbedingt besser, wenn Ministerien und Stifter sie in großen Programmlinien fördern. Die politischen Vorgaben werden oft als bloße Fördergelegenheit gesehen.
Schütte selbst nennt abgesehen von „Schlüsseltechnologien“ ausgerechnet Probleme, die gar keine Spitzenforschung brauchen: „Wir müssen fragen, wer die Lehrkräfte ausbilden soll, die unseren Kindern zukunftsorientiertes Fachwissen vermitteln und sie zu mündigen Staatsbürgerinnen und -bürgern bilden. Und wo und wie wir Vorsorge treffen für das Unbekannte […], wie das System also resilienter wird.“ Alles das ist sicher nötig – aber am besten durch Lehre und Forschung in der Breite zu leisten.
Das spricht für Option 3: Grundsicherung für Herausragendes
Verlässliche Grundfinanzierung könnte auch Spitzenforschung ermöglichen. Viel mehr als dauerhaft beschäftigtes wissenschaftliches Personal, das Zeitressourcen für Forschung hat, bei Interesse Kooperationen eingeht und bei Gelegenheit Sachmittel beantragen kann, ist dafür nicht nötig.
Auch Edelgard Bulmahn schlägt eine Grundfinanzierungsbeteiligung des Bundes vor. Sie hat allerdings schon zu ihrer Zeit als Ministerin gezeigt, dass man mit viel Geld auch viel Unheil anrichten kann, namentlich eine projektgetriebene Explosion prekärer Beschäftigung. Die genauere Ausführung der Alternativen überlasse ich unserem lernenden Manifest, in dem wir das Genre Projekt als freiwillige Kooperation neu zu definieren vorschlagen. Konkrete Vorschläge dazu konnten wir bei zwei Diskussionen im Frühjahr einholen, und spätestens wenn wir das Papier im Oktober abschließend mit Vertreter*innen der demokratischen Parteien diskutieren, stehen Änderungen und Konkretisierungen an.
Statt dem vorzugreifen, will ich zwei eigene Überlegungen zur Umwidmung der Exzellenzmittel in die Debatte bringen und eine neue Initiative zur Exzellenzstrategie ankündigen:
- Viele Hochschulen sind in eine überwiegend nicht selbst verschuldete Finanznot geraten: durch Baumaßnahmen, erhöhte Betriebskosten, Tarifaufwüchse und eine mit den Studierendenzahlen sinkende Hilfsbereitschaft der Länder. Einige – von der Humboldt-Universität Berlin über meine Heimatuniversität Jena bis zu den hessischen Hochschulen – werden in nächster Zeit jährlich Millionenbeträge benötigen, um weiter auf global konkurrenzfähigem Niveau arbeiten können. Die nötigen Mittel wären vorhanden.
- Zweitens könnte der Exzellenzehrgeiz in der Lehre ein Einsatzfeld finden. Nach Jahren schlecht kompensierter Studienzunahme ließen sich nun wieder gute Betreuungsrelationen gewährleisten. Die Schweiz hat dies schon im letzten Jahrzehnt umgesetzt; in Deutschland besteht die Möglichkeit heute. Dass der Bund für die Lehre Mittel aufwenden kann, ist mit den Hochschulpakten und mit dem Zukunftsvertrag unter Beweis gestellt. Und ein Muster, in dem die Lehrenden auch forschen und umgekehrt, käme vermutlich beiden Seiten zugute. Einem Klima der Weltoffenheit wäre es in jedem Fall zuträglich.
Schließlich will ich eine weitere Initiative erwähnen, die verschiedenen Positionen zur Exzellenzstrategie Raum bietet. Das Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft, in dem sich reforminteressierte Profs organisieren, hat gerade einen Brief mit kritischen Fragen zur Exzellenzstrategie an die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Wissenschaftsrat geschickt. Hier geht es nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie der Auswahl und Förderung. Wir werden den Brief im Oktober veröffentlichen – mit oder ohne Antworten.
Zur Person: Tilman Reitz ist seit 2015 Professor für Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Universität Jena. Er engagiert sich im Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) und im Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft. An der Initiative Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb beteiligen sich neben NGAWiss auch DGB, GEW. Verdi, die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.