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Wir schließen uns dem X-Exodus an und verlegen unsere Social-Media-Aktivitäten fortan vor allem auf Bluesky.
Für viele Jahre hat Twitter – das ein anderes Medium war als das jetzige X – uns eine wertvolle aktivistische Plattform gegeben. Sie hat uns erlaubt, uns mit politischen und gewerkschaftlichen Akteur:innen zu vernetzen, und wichtiger noch: mit einer Vielzahl individueller Mitstreiter:innen. Ohne sie hätten wir so manche Aktion, wie die Demonstration vor dem BMBF, nie auf die Beine stellen können. Und nur dank Twitter konnten wir die #ichbinHanna Bewegung tatkräftig unterstützen.
Die Entscheidung fällt uns nicht leicht, denn für politischen Aktivismus bedeutet über Jahre hinweg aufgebaute Reichweite sehr viel. Doch natürlich kamen auch wir nicht an der Beobachtung vorbei, dass X immer mehr zu einem Hort von Hatespeech und Fakenews wurde. Ebenso bewusst war uns, dass wir auf einer Plattform agieren, die sich herzlich wenig um Datensicherheit schert und vor allem die Weiterentwicklung digitaler Geschäftsmodelle im Blick hat. Nun lässt sich allerdings nicht mehr leugnen, dass X – nach Wunsch und Willen des alleinigen Besitzers – bewusst anti-demokratisch agiert. Schon nach Elon Musks Twitter-Akquise haben wir intern einen Auszug diskutiert. Spätestens jetzt – nachdem sich Musk zu einem der Top-Oligarchen unter dem zukünftigen antidemokratischen US-Präsidenten gemacht hat, dessen Name keine Nennung verdient – halten wir unsere Präsenz auf X für definitiv nicht mehr tragbar.
Wir tun diesen Schritt im Bedauern um die besseren Zeiten für politischen Aktivismus, die es dort gab, die alle vermeintliche Reichweite aber wohl nicht zurückholen wird. Wir tun ihn später als andere, aber in dem Wunsch und mit der Bitte, dass uns weitere folgen mögen. Wir rufen hiermit alle unsere Follower:innen von X – die Wissenschaftler:innen, aber auch die Organisationen und die Institutionen -, dazu auf, mit uns zu Bluesky zu wechseln.
Es geht dabei nicht, wie manche unterstellen, darum, in einer Blase von Gleichgesinnten unter sich zu sein. Es geht darum, wieder an einem Ort zu kommunizieren, an dem Regeln des fairen, wertschätzenden Austauschs gepflegt werden und, wo notwendig, auch durchgesetzt werden können. An einem Ort, an dem die Verzerrung politischer Meinungsbildung nicht systemisch und zugleich gewollt ist. Das ist die Grundbedingung jeden konstruktiven politischen Diskurses – und daran sollten nicht nur Individuen, sondern auch Institutionen und Organisationen ein Interesse haben, die sich einem demokratischen Miteinander verpflichtet fühlen. Welche Universität, welche wissenschaftspolitische Institution möchte sich auf einer Plattform präsentieren, von der sie weiß, dass sie die Sichtbarkeit von Verweisen auf die eigene Webpräsenz ebenso aktiv beschränkt wie diejenige von kritischem und aufgeklärtem Journalismus?
Wir werden alle unsere Tweets von X bis zum 1.1.2025 nach Bluesky migrieren, danach wird unser Account unwiderruflich gelöscht.

Presse-Text von BdWi

Die Freiheit von wissenschaftlicher Forschung und Lehre ist ebenso wichtig wie umkämpft. Seit längerem beschwören rechte und konservative Kräfte einen vermeintlichen “Kulturkampf” an Hochschulen. Es ist die Rede von einer vorgeblichen “Cancel Culture”, einem “links-grünen Mainstream” in der Wissenschaft oder von Forschenden und Studierenden, die Aktivismus anstelle von Wissenschaft betrieben. Mit der Gründung des “Netzwerks Wissenschaftsfreiheit” 2020/21 gewann die Debatte auch in der deutschsprachigen Academia an Aufwind. Vor diesem Hintergrund ist unser Studienheft zu Wissenschaftsfreiheit entstanden. Wir möchten mit ihm in die Debatte eingreifen und aufzeigen, dass wir durchaus Entwicklungen wahrnehmen, welche die Freiheit der Wissenschaft gefährden. Diese Gefährdung besteht aber nicht aus einer vermeintlich linken “Cancel Culture” , sondern in dem unheilvollen Zusammenspiel einer tiefgreifenden Ökonomisierung des Bildungswesens, staatlicher Eingriffe und einer deutlichen Zunahme rechter Hetze und Angriffe auf Wissenschaftler*innen.
Während der Arbeit am Studienheft kamen mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem nachfolgenden Krieg in Gaza weitere Debattenstränge hinzu. Dazu zählen sowohl die Frage nach dem Umgang mit propalästinensischen Protestcamps auf dem Campus und die Ausgrenzung kritischer – auch jüdischer – Stimmen zum Vorgehen Israels als auch die Fördermittel- Affäre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ebenso prägen seither weitere Entwicklungen den Diskurs, wie die Ausladung israelischer Wissenschaftler*innen und Boykott-Aufrufe gegen israelische Wissenschaftseinrichtungen sowie die Angst jüdischer Student*innen und Forscher*innen angesichts zunehmender antisemitischer Angriffe.

Die inhaltliche Konzeption des Studienhefts erfolgte allerdings mit einem langen zeitlichen Vorlauf. Daher ist es uns nicht an allen Stellen gelungen, tagesaktuelle Vorkommnisse und Debatten in ihrer jüngsten Entwicklung aufzunehmen. Wir bitten um Verständnis und wünschen unseren Leser*innen eine erhellende und anregende Lektüre.

Autor*innen sind: Carina Altreiter, Rebekka Arnold, Autor:innenkollektiv, Lea Dahms, Dominik Feldmann, Christiane Fuchs, Silvia Gingold, Lukas C. Gundling, Andreas Keller, Simon Kneip, Sophie Lehner, Eduard Meusel, Cristiano Moita, Britta Ohm, Stephan Pühringer, Tilman Reitz, Antonia Riegler, Benjamin Ruß, Jürgen Scheffran, Asli Telli, Yvonne Völkl

Das neue BdWi-Studienheft wird von dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), dem freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs), dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) und der Österreichischen Hochschüler_innenschaft (ÖH) herausgegeben. Es kann ab sofort für 8 Euro (Sonderrabatte für WeiterverkäuferInnen) hier bestellt werden.

 

Red.: Dieser Kommentar erschien erstmals auf dem https://research.table.  

Deutschland hat die Wahl zwischen Vorzeigeforschung und Arbeitsfähigkeit, konstatiert Tilman Reitz vom Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft. Er unterbreitet einen weiteren Vorschlag zur Exzellenz-Debatte – und kündigt Fragen an die Verantwortlichen an.

Fast alle wissen, dass sich an den deutschen Hochschulen Finanzierungsnöte ausbreiten. Fast alle sehen, dass sich der Wettbewerb um Projektfinanzierung überhitzt hat. Damit liegt es nahe, Fördermittel in die Grundfinanzierung zurückzuverlagern. Wie das gelingen kann, ist jedoch höchst umstritten.

Thorsten Wilhelmy hat die Exzellenzstrategie in diese Debatte gebracht; zugunsten besserer Breitenförderung solle das Programm eine Runde pausieren. Wilhelmy nennt auch unsere Initiative „Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb“, in der wir ein lernendes Manifest zum Thema entwickeln. Er teilt jedoch nicht unsere Lösungsidee. Die heutigen Projektmittel wieder direkt in die Hochschulhaushalte zu leiten, erscheint ihm nicht machbar – die Landeshaushalte drohten das Geld nur zu schlucken, und eine Bundes-Grundfinanzierung verlange zu große rechtliche Umbauten. Stattdessen nimmt er den Vorschlag des Wissenschaftsrats auf, die Overhead-Pauschalen für Projekte zu erhöhen.

Grundfinanzierung könnte auch zur Sicherung realer Wissenschaftsfreiheit beitragen

Diese Idee droht den Wettbewerb allerdings bloß andersartig anzuheizen. Ich möchte hier ausführen, dass nur eine wirkliche Wende zur Grundfinanzierung sinnvolle Exzellenz-Korrekturen verspricht. Da die politische Situation in den Ländern nicht einfacher wird, könnten sie auch zur Sicherung realer Wissenschaftsfreiheit beitragen.

Auf Wilhelmys Text haben bei Research Table Annette Schavan und Georg Schütte reagiert. Auch Edelgard Bulmahn wurde zum Thema befragt, geht auf die neueren Debatten jedoch kaum ein. Die anderen beiden teilen die verbreitete Problemsicht: Für Schavan sind die Hochschulfinanzen „angesichts sinkender Grundfinanzierung durch die Länder und […] wachsender Drittmittel durch den Bund fragil“ geworden, und Schütte kennzeichnet die Gesamtlage als „überhitzt“. Die Lösungsvorschläge differieren jedoch gewaltig.

Das spricht gegen Option 1: Weiter so!

Annette Schavan empfiehlt keine Reformen – besonders nicht bei der Exzellenzstrategie. Der Exzellenztitel habe deutsche Standorte international viel bekannter gemacht; zudem habe das Programm Neuerungen wie den Europäischen Forschungsrat „inspiriert“. Zu klären bleibt, ob man nicht auch preiswerter sichtbar werden kann und wozu es noch weitere Einrichtungen braucht, die viele Anträge anlocken, um wenige Vorzeigeforschung zu fördern.

Schavan weist aber zu Recht darauf hin, dass auch Wilhelmys Vorschlag die Logik der Kurzfristigkeit fortsetzt: Sonderforschungsbereiche sind nicht nachhaltiger als Exzellenzcluster. Und erhöhte Pauschalen würden das Projektgeschäft zunächst attraktiver machen, bevor vielleicht einige ganz aufgeben. Gute Vorschläge sind im gegebenen Rahmen nicht zu erkennen.

Das spricht gegen Option 2: Inhaltliche Forschungssteuerung

Ein anderer Ansatz bestünde darin, die Projektfinanzierung zur inhaltlichen Steuerung zu nutzen. Georg Schütte argumentiert dafür, die Wissenschaft so auf Probleme der Zeit auszurichten. Auch Bulmahn scheint den Ansatz zu teilen, wenn sie für „Forschungscluster“ zu „Klimawandel […], Global Health und KI“ wirbt. Die Exzellenzstrategie ist allerdings nicht spezifisch auf diese Themen ausgerichtet. Zugleich werden Forschungen nicht unbedingt besser, wenn Ministerien und Stifter sie in großen Programmlinien fördern. Die politischen Vorgaben werden oft als bloße Fördergelegenheit gesehen.

Schütte selbst nennt abgesehen von „Schlüsseltechnologien“ ausgerechnet Probleme, die gar keine Spitzenforschung brauchen: „Wir müssen fragen, wer die Lehrkräfte ausbilden soll, die unseren Kindern zukunftsorientiertes Fachwissen vermitteln und sie zu mündigen Staatsbürgerinnen und -bürgern bilden. Und wo und wie wir Vorsorge treffen für das Unbekannte […], wie das System also resilienter wird.“ Alles das ist sicher nötig – aber am besten durch Lehre und Forschung in der Breite zu leisten.

Das spricht für Option 3: Grundsicherung für Herausragendes

Verlässliche Grundfinanzierung könnte auch Spitzenforschung ermöglichen. Viel mehr als dauerhaft beschäftigtes wissenschaftliches Personal, das Zeitressourcen für Forschung hat, bei Interesse Kooperationen eingeht und bei Gelegenheit Sachmittel beantragen kann, ist dafür nicht nötig.

Auch Edelgard Bulmahn schlägt eine Grundfinanzierungsbeteiligung des Bundes vor. Sie hat allerdings schon zu ihrer Zeit als Ministerin gezeigt, dass man mit viel Geld auch viel Unheil anrichten kann, namentlich eine projektgetriebene Explosion prekärer Beschäftigung. Die genauere Ausführung der Alternativen überlasse ich unserem lernenden Manifest, in dem wir das Genre Projekt als freiwillige Kooperation neu zu definieren vorschlagen. Konkrete Vorschläge dazu konnten wir bei zwei Diskussionen im Frühjahr einholen, und spätestens wenn wir das Papier im Oktober abschließend mit Vertreter*innen der demokratischen Parteien diskutieren, stehen Änderungen und Konkretisierungen an.

Statt dem vorzugreifen, will ich zwei eigene Überlegungen zur Umwidmung der Exzellenzmittel in die Debatte bringen und eine neue Initiative zur Exzellenzstrategie ankündigen:

  • Viele Hochschulen sind in eine überwiegend nicht selbst verschuldete Finanznot geraten: durch Baumaßnahmen, erhöhte Betriebskosten, Tarifaufwüchse und eine mit den Studierendenzahlen sinkende Hilfsbereitschaft der Länder. Einige – von der Humboldt-Universität Berlin über meine Heimatuniversität Jena bis zu den hessischen Hochschulen – werden in nächster Zeit jährlich Millionenbeträge benötigen, um weiter auf global konkurrenzfähigem Niveau arbeiten können. Die nötigen Mittel wären vorhanden.
  • Zweitens könnte der Exzellenzehrgeiz in der Lehre ein Einsatzfeld finden. Nach Jahren schlecht kompensierter Studienzunahme ließen sich nun wieder gute Betreuungsrelationen gewährleisten. Die Schweiz hat dies schon im letzten Jahrzehnt umgesetzt; in Deutschland besteht die Möglichkeit heute. Dass der Bund für die Lehre Mittel aufwenden kann, ist mit den Hochschulpakten und mit dem Zukunftsvertrag unter Beweis gestellt. Und ein Muster, in dem die Lehrenden auch forschen und umgekehrt, käme vermutlich beiden Seiten zugute. Einem Klima der Weltoffenheit wäre es in jedem Fall zuträglich.

Schließlich will ich eine weitere Initiative erwähnen, die verschiedenen Positionen zur Exzellenzstrategie Raum bietet. Das Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft, in dem sich reforminteressierte Profs organisieren, hat gerade einen Brief mit kritischen Fragen zur Exzellenzstrategie an die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und den Wissenschaftsrat geschickt. Hier geht es nicht nur um das Ob, sondern auch um das Wie der Auswahl und Förderung. Wir werden den Brief im Oktober veröffentlichen – mit oder ohne Antworten.

Zur Person: Tilman Reitz ist seit 2015 Professor für Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie an der Universität Jena. Er engagiert sich im Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) und im Netzwerk Nachhaltige Wissenschaft. An der Initiative Grundfinanzierung statt Projektwettbewerb beteiligen sich neben NGAWiss auch DGB, GEW. Verdi, die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur und der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Die über die Plattform FragDenStaat zugänglich gemachten E-Mails aus dem BMBF lassen noch deutlicher als bisher erkennen, dass Drittmittel als Waffe gegen politische Gegner eingesetzt werden sollten. Die gestrigen Anhörungen der Ministerin im Bundestag hat Zweifel an ihrer Verantwortung für die erfolgte Missachtung der Wissenschaftsfreiheit nicht ausgeräumt. Sie muss für die Vorgänge geradestehen und zurücktreten.

Gestern hat sich die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Frau Stark-Watzinger, sowohl im Bildungsausschuss als auch im Plenum des Bundestages zur in ihrem Haus erwogenen politisch motivierten Streichung von Fördergeldern geäußert. Neue Sachinformationen hat sie der Öffentlichkeit nicht geboten. Sie blieb bei ihrer Verteidigungslinie, von den Vorgängen in ihrem Haus nichts gewusst zu haben; warum diese die politische Stoßrichtung ihrer Stellungnahmen zu den Unterzeichner:innen des „Statements von Lehrenden an Berliner Universitäten“ direkt fortsetzten, erläuterte sie nicht. Ungeklärt blieb insbesondere die Frage, wer die Förderprüfung bereits bei der Pressekonferenz am 10.05.2024 veranlasst hat, an der Stark-Watzinger behauptet nicht „persönlich“ teilgenommen zu haben. Ebenfalls ungeklärt blieben die Gründe, warum auch am 14. und 15. Mai noch dazu korrespondiert wurde, als das Ansinnen angeblich schon zurückgenommen worden war.

Seit unserer ersten Pressemitteilung in Reaktion auf die Panorama-Recherche zur Fördermittel-Affäre liefern die Vorgänge, die in den FragDenStaat zugänglich gemachten E-Mails erkennbar werden, weitere Gründe für unsere Forderung nach dem Rücktritt der Ministerin. Darüber hinaus bleiben die Rücktrittsgründe bestehen, auf die wir in den letzten Wochen und Monaten aufmerksam gemacht haben, siehe dazu unsere Stellungnahme vom 12. Juni.

Dem Verdacht, dass sie wissenschaftsadäquate Kriterien für die Förderung von Projekten ihren politischen Präferenzen unterstellt, setzt sich die Ministerin nun schon zum zweiten Mal in ihrer Amtszeit aus. Bereits im Sommer 2022 hatte ihr Ministerium Förderzusagen u.a. in den Bereichen “Gesellschaftliche Folgen der Corona-Pandemie” und Rechtsextremismusforschung nicht eingehalten. Damit war offenbar ein Prinzip politischer Willkür eingeführt, das sich im aktuellen Fall noch zuspitzt. Im Mai 2024 wurden Mitarbeiter:innen des Ministeriums angewiesen, eine Liste von BMBF-geförderten Wissenschaftler:innen zu erstellen, die einen Offenen Brief zu Polizeieinsätzen im Rahmen von Palästina-Protesten unterschrieben hatten. Wie wir jetzt wissen, zielte dies auf den möglichen Entzug der Förderung. Dessen politische Motivierung war den Auftraggebenden, wie die E-Mails belegen, vollumfänglich bewusst: „Letztlich wäre ein solcher [der mögliche Entzug einer BMBF-Förderung] natürlich eine politische Entscheidung“. Trotz klar geäußerter Bedenken des juristischen Personals im Ministerium verfolgte die Ministeriumsleitung ihre Absicht über mehrere Tage weiter.

Die entscheidende Rolle des Pressereferats, die sich aus der Korrespondenz zu diesem Vorgang erschließen lässt, deutet nicht nur darauf hin, dass die Listenerstellung eine Überreaktion auf die vorangegangene, von vielen Beobachter:innen als bedenklich beurteilte öffentliche Kommunikation der Ministerin war, sondern auch, dass die Ministerin über die Vorgänge informiert war. Selbst wenn dem nicht so wäre, sollte eine Ministerin, die in einem von ihr selbst ausgelösten Konflikt weder von den Aktivitäten ihrer Pressestelle weiß noch über die ihrer Staatssekretärin informiert ist, schleunigst ihren Hut nehmen. Die vorhandenen Indizien sprechen allerdings dafür, dass die Liste zur Vorbereitung der (laut eigener Diktion der Ministerialbeamten) „politischen Entscheidung“, unliebsamen Wissenschaftler:innen eine etwaige BMBF-Förderung zu entziehen, von Frau Stark-Watzinger selbst angefordert wurde. Mit jedem weiteren Dokument, das seit Anfang des Monats an die Öffentlichkeit gelangte, hat sich dieser Verdacht erhärtet. Das Vertrauen in sie als Ministerin für Bildung und Forschung ist nicht wiederherstellbar.

Auch dass sich die Ministerin hinter ihrem Personal versteckt, ist nicht neu. In der laufenden Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) hat sie den Dialog mit den Beschäftigten und ihren Vertretungen komplett an ihren Staatssekretär Jens Brandenburg ausgelagert, der ebenfalls keine wirkliche Verständigung erreicht hat: Alle Argumente zur Verbesserung der Forschungs- und Lehrbedingungen von prekär beschäftigten Wissenschaftler:innen wurden ignoriert. Schlimmer noch: Der Regierungsentwurf übernimmt die Vorlage der Allianz der Wissenschaftsorganisationen für die für die Wissenschaft und die Wissenschaftler:innen lebenswichtige Post-Doc-Phase. Auch im aktuellen Konflikt zeigt sich die Ministerin erst auf Drängen der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und angesichts der Gefährdung ihres Amtes bereit, mit den „betroffenen Hochschullehrern“ (den Unterzeichner:innen des Offenen Briefs) zu sprechen.

An die Adresse von FDP, CDU und CSU richten wir abschließend den Hinweis, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus nur im Bündnis aller demokratischen Kräfte erfolgreich geführt werden kann. Diese Parteien verfehlen ihr Ziel, wenn sie den Antisemitismus opportunistisch ausnutzen, um Wissenschaftler:innen und die Wissenschaft anzugreifen. Sie versuchen damit, eine der Demokratie besonders verpflichtete Gruppe zu schwächen, verschonen die wahren Feinde des Rechtsstaates und machen es nicht leichter, gemeinsam auf dem Boden der Verfassung zu stehen.

Berlin, 27.6.2024, 10 Uhr.

Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss)

Bettina Stark-Watzinger hat sich bislang vor allem durch Abwesenheit in zentralen Debatten ausgezeichnet. So hat sie im Prozess der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) alle Argumente zur Verbesserung der Forschungs- und Lehrbedingungen prekärer Wissenschaftler:innern ignoriert. Nun tritt sie in einer ganz anderen Debatte in Erscheinung: Durch einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Der gestern öffentlich gewordene Versuch der Bundesministerin, kritischen und teilweise ohnehin prekarisierten Forscher:innen quasi als Strafe für missliebige Stellungnahmen zur Versammlungsfreiheit Forschungsgelder zu entziehen, ist eine Grenzüberschreitung. Wir fordern daher den Rücktritt der Forschungsministerin.

Themen, bei denen Reformen nötig sind und zu denen der Koalitionsvertrag konkrete Änderungen versprochen hatte, spielten in der Tätigkeit der Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger bis dato keine erkennbare Rolle. In ihrer zweieinhalbjährigen Amtszeit hat sie es versäumt, in irgendeiner Weise die Arbeitsbedingungen für nichtprofessorale Wissenschaftler:innen zu verbessern. Zu möglichen Änderungen zählen bspw. die signifikante Einschränkung des Sonderbefristungsrechts im WissZeitVG und eine Kursumkehr im Drittmittelunwesen, das im Bund befristete Projektgelder normalisiert. Stattdessen hat das Ministerium im Prozess der WissZeitVG-Novellierung nur Entwürfe hervorgebracht, die nahezu alles beim Alten lassen oder verschlimmern. Den Maßgabebeschluss des Bundestags-Haushaltsausschusses, der das BMBF verpflichtet, sich um eine Bund-Länder-Vereinbarung für ein Dauerstellen-Programm zu bemühen, sitzt die Ministerin einfach aus. Unmittelbare Reaktionen gab es von ihr allenfalls in Form einer spontanen Abwehr von wirklich lösungsorientierten Vorschlägen wie der Höchstbefristungsquote.

Wir haben uns zu diesen Themen mehrfach geäußert. In einer kürzlich veröffentlichten Erklärung haben wir außerdem darauf hingewiesen, dass das System befristeter Beschäftigung und wettbewerblich vergebener Projektmittel nicht nur eine Belastung der Lebensplanung sondern auch eine Einschränkung der Qualität von Forschung und Lehre darstellt. Prekarisierung und Drittmittelwesen beeinträchtigen die Unabhängigkeit und Kritikfähigkeit der beteiligten Wissenschaftler:innen. Dadurch wird auch ihre Widerstandsfähigkeit gegen möglicherweise immer weiter ins Autoritäre driftende politische Zustände geschwächt. Als besonders zensuranfälligen Bereich haben wir die Debatten zum Nahostkonflikt hervorgehoben

Offensichtlich hat die Ministeriumsleitung nun mehrfach versucht, Wissenschaftler:innen, die unerwünschte Meinungen (im konkreten Fall nicht einmal zum Thema Gazakrieg selbst, sondern zur Verteidigung des Rechts auf friedlichen Protest) geäußert haben, öffentlich und dienstlich dauerhaft zu beschädigen. Zu einer Kampagne der Bild-Zeitung, die Erstunterzeichnende eines offenen Briefs zu Campusbesetzungen öffentlich an den Pranger stellte, trug die Ministerin mit verdächtigenden Formulierungen bei. Wie nun aus Recherchen und Dokumentenveröffentlichungen des NDR hervorgeht, wurde im Ministerium darüber hinaus intern die Weisung erteilt, den fraglichen Brief strafrechtlich zu prüfen und auszuloten, ob den Unterzeichnenden Fördergelder entzogen werden könnten. Eine Erläuterung dieser Anweisungen wiederholte zudem die öffentlich geäußerten Zweifel der Ministerin daran, ob die Unterzeichnenden auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. 

Tatsächlich steht Bettina Stark-Watzingers Versuch, Forscher:innen die finanzielle Grundlage ihrer Arbeit aufgrund politischer Meinungsäußerungen zu entziehen, im direkten Widerspruch zur grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit. Besonders absurd wirkt dieser Vorgang mit Blick darauf, dass das BMBF selbst das aktuelle „Wissenschaftsjahr“ unter den Begriff der Freiheit gestellt hat. Eine Hausleitung des BMBF, die sich derart an staatlichen Eingriffen in die Freiheit der Wissenschaft, der Forschung und der Lehre sowie der Meinungsfreiheit von Wissenschaftler:innen versucht, ist in einer Demokratie nicht tragbar. 

Um Schaden von ihrem Haus und der Wissenschaft in Deutschland abzuwenden, sollte Frau Stark-Watzinger ihr bisher ohnehin kaum ernsthaft ausgefülltes Amt räumen.

 

Berlin, 12.6.2024

Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft