Scheinwahrheit Nr. 5a: Befristung dient der notwendigen Bestenauslese.
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Scheinwahrheit Nr. 5a: Befristung dient der notwendigen Bestenauslese.

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Diese Behauptung scheitert bereits an der plausiblen Beschreibung des gegenwärtigen deutschen Hochschulbetriebs. Denn die mit Entfristung belohnten „Besten“ bilden hier eine im internationalen Vergleich extrem kleine Gruppe innerhalb des Hochschulpersonals (OECD Science, Technology and Innovation Outlook 2021, S. 83). Und paradoxerweise werden diese „Besten“ dann, wenn ihr Forschungsoutput ihnen endlich eine Professur eingetragen hat, mit einem Maximum an Verwaltungsaufgaben beladen und kommen kaum noch zum Forschen.

Weshalb das Bestenauslese-Argument scheitert, hat Tobias Rosefeldt in einer Beispielrechnung aufgezeigt: Wenn man Verbleibdauer und Personenzahl der gegenwärtig Beschäftigten vergleichend betrachtet – also die sehr kleine Zahl „Bester“ mit langer Verbleibdauer mit der sehr großen Zahl letztlich für ungeeignet Befundener mit kurzer Verbleibdauer – so wird sichtbar, dass die zweite Gruppe auf mehr Jahre geleisteter Forschung und Lehre kommt als die erste. In der Praxis unseres Hochschulsystems unterläuft die behauptete Bestenauslese also ihre eigenen Kriterien (Rosefeldt, Kanzlerdämmerung, 2021).

 

Die Praxis der Dauerbefristung läuft dem Prinzip der Bestenauslese aber auch in dem Sinn zuwider, dass Prekarisierung – und zwar umso mehr, je kürzer die Laufzeiten der Verträge, auf die sie setzt – gerade nicht Qualität belohnt, sondern Tempo. Es reüssiert, wer Qualifikationsschritte schnell absolviert, also wer die zu erreichenden Resultate seiner oder ihrer Forschung Zeitvorgaben unterwirft – und nicht umgekehrt. Originelle, aufwendige und v.a. gründliche Forschung wird auf diese Weise behindert. Nicht selten verhindert das WissZeitVG sogar ganz, dass die fachlich Qualifiziertesten für bestimmte Stellen genommen werden können, nämlich wenn sie sich innerhalb der 6-Jahres-Frist „zu spät“ für eine Stelle bewerben. Bestenauslese muss (wenn man sie denn für realisierbar hält) etwas anderes bedeuten als Überlebenskompetenz.

Wir brauchen ein ambitioniertes, inegalitäres […], darwinistisches Gesetz, das die im internationalen Maßstab leistungsstärksten Wissenschaftler […] ermutigt und Energien mobilisiert.“

 

Antoine Petit, Direktor des CNRS, zur Rechtfertigung des Hochschulgesetzes LPPR, mit dem die Beschäftigungsverhältnisse in der französischen Wissenschaft prekarisiert wurden, in Les Echos, 26.11.2019

 

Nicht umsonst meint das darwinsche survival of the fittest das Überleben nicht der körperlich „Fittesten“, sondern das der am besten Angepassten. Diesen Effekt beobachtet man ebenfalls in der Wissenschaft: Wirklich originelle Forschende passen sich nicht an und werden von Etablierten, denen sie Konkurrenz machen, keineswegs systematisch gefördert. Die weitgehende Umstellung des Forschungsbetriebs auf Drittmittel befördert das Konsensfähige, das den aktuellen Forschungsmoden Nahestehende und das der Karriere Opportune (vgl. z. B. Kuhnt/Reitz/Wöhrle, Arbeiten, S. 82f.: Dem „Nachwuchs“ zugerechnete Wissenschaftler:innen halten sich aus Angst vor Karrierenachteilen selbst mit sachlich berechtigter Kritik stärker zurück als Festangestellte).

Zudem erweisen sich viele Systemstellen im aktuellen Betrieb als geradezu kontraproduktiv für eine Bestenauswahl. Auf den sogenannten „Haushaltsstellen“ ist die auf Qualitätskriterien basierende Stellenvergabe eine Seltenheit. Postdoc-Stellen werden weitgehend nach persönlicher Willkür und stark intransparent vergeben. Lehrstühle werden als „Hofstaaten“ im Sinne der Passfähigkeit zu überschaubar definierten Interessenfeldern von Lehrstuhlinhaber:innen aufgebaut – und weil Befristung es möglich macht, auch beliebig umgebaut. Gar nicht mehr im Sinne einer Bestenauslese begründen lassen sich damit einhergehende Phänomene wie das der „Witwenverbrennung“: Jemandes Karriere scheitert in solch einem Fall allein daran, dass ein:e Lehrstuhlinhaber:in geht und der:die Nachfolgende einen anderen, wiederum nach persönlichen Interessen definierten Typ „Hofstaat“ aus befristeten Mitarbeiter:innen aufbaut. Die Karrieren des Mittelbaus sind den Macht- und Einfluss-Konkurrenzen von Professor:innen faktisch funktional untergeordnet.

 

Daher: Feudalismus fördert keine Qualitätssicherung. Individueller Erfolg innerhalb eines prekarisierten Universitätssystems hängt bei der gegenwärtigen Beschäftigungslage von wissenschaftsfernen Ressourcen wie finanziellen Polstern, solventen Partner:innen, familiärer Unterstützung bei Kinderbetreuung und dergleichen ab. Der Konkurrenzgedanke, der der Wissenschaft als Wettstreit um die Durchsetzung der besten Ideen durchaus inhärent ist, wird hier für die Legitimation einer feudalistischen, exkludierenden Institutionsstruktur zweckentfremdet (vgl. auch Scheinwahrheit 5b und 8a).

 

In Fächern, in denen die außeruniversitären Arbeitsbedingungen so viel besser sind, dass Universitätslaufbahnen trotz starker intrinsischer Motivation abschrecken, verkehrt sich das Bestenauslese-Argument schließlich ganz ins Gegenteil: Hier bleibt, wem sich nichts Attraktiveres bietet. Denn dass gute Leistung gute Arbeitsbedingungen benötigt, hat der außeruniversitäre Arbeitsmarkt längst erkannt und wirbt hervorragend Qualifizierte immer häufiger ab (vgl. auch Scheinwahrheit 10a).

 

Literatur:

– OECD Science, Technology and Innovation Outlook 2021, S. 83

– Kuhnt, Mathias, Tilman Reitz und Patrick Wöhrle, Arbeiten unter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Eine Evaluation von Befristungsrecht und -realität an deutschen Universitäten, Dresden 2022, https://doi.org/10.25368/2022.132

– Rosefeldt, Tobias, Kanzlerdämmerung in Bayreuth, Soziopolis (2019), https://soziopolis.de/beobachten/wissenschaft/artikel/kanzlerdaemmerung-in-bayreuth/#_ftnref11 [zum Verhältnis geleisteter Lehre und Forschung gemessen an den befristet und unbefristet Beschäftigten]
 

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