10 Dec Scheinwahrheit Nr. 8a: Wir brauchen doch aber EXZELLENZ!
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Das Problem dieser Aussage lässt sich schon allein am Begriff der Exzellenz festmachen. Er ist einerseits auf keinerlei Weise inhaltlich unterfüttert, andererseits haben sich in seinem Namen Strukturen etabliert, die die Wissenschaft unter dem Deckmantel der Förderung schädigen. Im Namen der Exzellenz werden – so im Fall der deutschen Exzellenzinitiative (2005–2017) bzw. der Exzellenzstrategie (seit 2018), aber auch international – wettbewerbsförmige Strukturen geschaffen, die einzelne Konkurrent:innen prämieren und andere, tatsächlich sogar die große Mehrheit, zwangsläufig zu Verlierer:innen stempeln. Wissenschaftliche Erkenntnisse sind allerdings qualitativ so verschieden und müssen (je nach Fach, nach Anwendungsnähe etc.) nach so vielen unterschiedlichen Maßstäben bemessen werden, dass ein einzelner vermeintlich quantifizierbarer Maßstab dafür ungeeignet ist.
De facto verbrennt die Teilnahme am unsicheren Exzellenzwettbewerb eine Unmenge an Ressourcen. Wenn über Exzellenz, wie im Fall des deutschen Programms, nach Maßgabe institutionalisierter Wettbewerbe entschieden wird, geht das zudem mit einer Konzentration von Arbeitsressourcen auf das Bewerbungsverfahren einschließlich Begutachtung einher. Diese Arbeitskapazitäten stehen für den wissenschaftlichen Arbeitsprozess nicht mehr zur Verfügung, denn der Personal-, Zeit- und Sachaufwand für die immer wiederkehrende Bewerbung ist immens (vgl. Scheinwahrheit 8b). Dazu kommt, dass die für die Wissenschaft sehr kurzen Laufzeiten der Exzellenz-Förderperioden den Hochschulen eine Planungsunsicherheit aufzwingen, die sie an ihre ohnehin schon prekär beschäftigten Angestellten weitergeben. Diese ziehen aus der Teilnahme an diesen Verfahren aber keinerlei Nutzen. Denn vom Exzellenztitel profitieren nur die Institutionen, nicht die prekär beschäftigten Wissenschaftler:innen, die zwischen den immer neu zu gründenden Exzellenzprojekten als Verschiebemasse gebraucht und verbraucht werden. Wie wenig weit es für die eigene Karriere trägt, einem solchen Projekt angehört zu haben, erfahren die Betreffenden schnell – nämlich dann, wenn sie in einem hierdurch künstlich aufgeblähten Forschungsfeld tätig waren, ihre dort erworbenen Kompetenzen aber im nächsten, thematisch ganz neu ausgerichteten Forschungsverbund nicht mehr einbringen können.
Schon die Systemkosten der inszenierten Wettbewerbe sind also hoch; das Konzept der „Exzellenz“ ist aber in noch grundsätzlicherer Weise problematisch. Wie bereits vielfach gezeigt wurde, setzen nicht nur inszenierte Exzellenzwettbewerbe, sondern die Exzellenz- (also Performanz-)Logik generell systematisch falsche, guter Wissenschaft abträgliche Anreize (vgl. Moore et al., University Research). Wie Verlautbarungen des BMBF zeigen, soll eine Stärkung des „deutschen Wissenschaftsstandort[s] im internationalen Wettbewerb“ dadurch erreicht werden, dass man „Spitzenforschung“ an deutschen Hochschulen „sichtbarer“ macht. Dieses (häufig wiederholte) Bedürfnis nach Sichtbarkeit bedeutet, dass die Exzellenzlogik letztlich auf innerhalb ihres eigenen Systems vermarktbare Produkte zielt – also den Erwerb von Exzellenztiteln für Institutionen, Individuen und Ergebnisse. Die für den Erwerb solcher Titel notwendigen Praktiken sind jedoch keineswegs deckungsgleich mit denen, die gute (d. h. verlässliche, präzise und relevante Erkenntnisse hervorbringende) Wissenschaft charakterisieren. Bei der Beantragung von Forschungsverbünden muss nicht nur das unter den Antragstellenden hinreichend Konsensfähige gefunden, sondern auch ein Kalkül zur Bewilligungswahrscheinlichkeit in Anschlag gebracht werden, das das unter Gutachter:innen Konsensfähige antizipiert. Je größer die Gruppe der Antragstellenden und je größer demnach ihre Bedeutsamkeit für die Institution, desto wahrscheinlicher also, dass das aktuell Marktgängige sich durchsetzt; geschärft werden dabei eher Produktmanagement-Skills als wissenschaftliche Kompetenzen.
Versteht man „Exzellenz“ in einem weiteren Sinne als „Rankifizierung“ von Wissenschaft innerhalb eines auf Kennzahlen basierenden Bewertungssystems, das auch für individuelle Jobchancen bedeutsam ist, kann man zudem feststellen, dass die dabei gesetzten Anreize problematisch für die involvierten Akteur:innen sind: Sie fördern ein Verhalten, das man als gaming the system beschreiben kann. Quantifizierende Metriken wie Publikations- und Zitationszahlen befördern Strategien, die auf Kennzahlmaximierung angelegt sind, etwa Akkumulation von Autor:innenschaften, das Zerlegen wissenschaftlicher Erkenntnisse in kleinste publizierbare Einheiten, zu frühes Publizieren unausgereifter Resultate, Abschwächung kritischer Selbstkontrolle – bis hin zu aktiver Manipulation, also Fälschung. Denn gemessen wird letztlich die Kapazität, Performanzkriterien zu erfüllen, nicht die tatsächliche wissenschaftliche Leistung. Die Replikationskrise zeigt, welches Ausmaß diese Probleme mittlerweile angenommen haben. Studien belegen, dass gerade in den am meisten Reputation verheißenden, hoch in Rankings gelisteten Zeitschriften nicht reproduzierbare Ergebnisse besonders häufig sind (vgl. Brembs, Threat, 2021). Das hat damit zu tun, dass es sich in einem System, das „Sichtbarkeit“ prämiert, nicht auszahlt, sich der Arbeit des Replizierens, also Prüfens von Ergebnissen überhaupt zu widmen. Verloren zu gehen droht durch den Fokus auf die hierarchische Klassifizierbarkeit von Institutionen, Forschenden und Forschungsergebnissen das Bewusstsein dafür, dass Wissenschaft eine Praxis ist, deren Methodiken zwar überprüfbar sein müssen, – deren Ergebnisse und Erkenntnisse sich ansonsten aber nur qualitativ unterscheiden lassen. Wer gute Wissenschaft will, müsste deshalb die Konditionen ihrer redlichen und sorgfältigen Durchführung optimieren.
„Exzellenz“ droht also, Wissenschaft unzuverlässiger und weniger nachhaltig zu machen, und das in einem doppelten Sinne: Sie schreckt nicht nur von den Tätigkeiten ab, die das Basiswissen der Disziplinen pflegen und zuverlässig halten, sie ist – trotz aller Favorisierung des Hervorstechenden, Aufsehenerregenden – letztlich auch nicht geeignet, wirkliche Erkenntnisdurchbrüche frühzeitig zu erkennen und zu fördern. Exzellenz unterstützt das Konsensfähige. Das auf den ersten Blick Nicht-Konsensfähige erhält im Zweifel keinen Zugang zu Fördermitteln und kann somit auch nicht entwickelt werden. So befördert die Exzellenzlogik im Zweifel nur diejenigen wissenschaftlichen „Durchbrüche“, die eine Mehrheit zu antizipieren bereit ist, weil sie bereits etablierten Trends entsprechen. Welche Bereiche einmal wichtig werden könnten, lässt sich im Vorhinein kaum bestimmen: Die für Covid-19 wichtige mRNA-Forschung war gerade kein Trendsetter, sondern wurde lange vor der Corona-Pandemie und zu großen Teilen auch außerhalb der Universitäten beforscht (vgl. Fuchs, mRNA-Entdeckung, 2021). Die in der „Exzellenzstrategie“ geförderten Cluster sind dagegen thematisch an ihre Vorab-Bewerbungen gebunden und Universitäten dadurch sehr unflexibel in der Verwendung der Gelder. Niemand kann heute voraussehen, welches Wissen wann und in welchem Kontext einmal relevant sein wird. So urteilte 2010 auch das Bundesverfassungsgericht, dass Politik in der Forschungsförderung zwar Schwerpunkte setzen dürfe, dem Recht auf Wissenschaftsfreiheit aber auch „der Gedanke zugrunde [liegt], dass eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“ (BVG, Leitsätze, 2010) Anstelle der Konzentration von Ressourcen auf hypothetische „Spitzenforschung“ würden Wissenschaft und Gesellschaft von einer breiteren Diversität beforschter Gegenstände profitieren. Das Exzellenzparadigma droht folglich die gesellschaftliche Relevanz von Forschung zu verringern, obwohl es doch das Gegenteil verspricht.
„Die Exzellenzstrategie ist ein Förderprogramm von Bund und Ländern zur nachhaltigen Stärkung der Spitzenforschung und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutscher Universitäten […]. Solche Leuchttürme in der Forschung strahlen auf die gesamte Universitätslandschaft ab, so profitiert der Hochschul- und Forschungsstandort Deutschland auch in der Breite.“
BMBF, FAQ Exzellenzstrategie (Stand Juni 2019)
Das Kernproblem der Exzellenzideologie besteht darin, dass sie ein artifizielles Knappheitsprinzip da einführt, wo Vielfalt herrschen muss. Mittel, die in konzentrierter Form eingesetzt werden, sind in der Breite nicht mehr da, wo sie am dringendsten gebraucht werden – also etwa, um Fächervielfalt, gute Lehre und grundständige Forschung flächendeckend zu erhalten. Denn langfristig führt die Prämierung im Wettbewerb Erfolgreicher mit Exzellenztiteln – hier kommt der sogenannte Matthäus-Effekt des „Wer hat, dem wird gegeben“ zum Tragen – zur Konsolidierung eines Gefälles. So entsteht ein Zwei-Klassen-Wissenschaftssystem, in dem ohnehin schon geförderte Orte systematisch bevorzugt, kleinere Universitäten dagegen von Fördermitteln abgeschnitten werden.
In der Gesamtheit des (deutschen) Hochschulwesens führt dies zu einem Qualitätsverlust: Denn die von Vertreter:innen des Wissenschaftsmanagements gern so genannten „Leuchttürme“ lassen sich ihrer absoluten Höhe (der Forschungsqualität) nach nicht messen. Für die relative Höhe als Maßstab dagegen genügt es, wenn andere kleiner gehalten werden. Auf diese Weise kann die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse in der Gesamtheit des Outputs stetig sinken, ohne dass es die Funktionselite zu kümmern braucht. Dafür, dass dies geschieht, ist nicht nur die Replikationskrise ein starkes Indiz. Auch Studien, die zeigen, dass Antrags-Erfolgsraten und tatsächliche (spätere) Produktivität von Wissenschaftler:innen nur schwach korrelieren, und dass vielzitierte Autor:innen umgekehrt schlechtere Antrags-Erfolgschancen haben als solche, die vor allem gut vernetzt sind, legen diesen Schluss nahe (Moore et al., University Research, S. 4).
Auch mit Bezug auf Individuen setzt die Exzellenzlogik für Universitäten und Forschungsinstitutionen falsche Anreize: Interessieren muss die Institutionen vor allem, die in Sachen Geldeinwerbung „lukrativsten“ Mitarbeiter:innen zu halten (vgl. auch Scheinwahrheit 10b). Mit der Macht, die diese Individuen dadurch akkumulieren, gehen intern (u. a. in Form von „Drittmittel-Hofstaaten“) wiederum steile Hierarchien, multiple Abhängigkeiten und Patronage einher, die egalitäre Formen von Zusammenarbeit behindern, Ausbeutung und Mobbing fördern und produktiven Kulturen der Zusammenarbeit abträglich sind (vgl. N.N., Editorial, 2022). Im Kontext der Exzellenzstrategie schlagen sich diese Hierarchien auch in der Befreiung der Antragstellenden von der Lehre nieder. Zum Ausgleich werden Hochdeputatsstellen geschaffen, deren Arbeitspensum gar nicht mehr erlaubt, Forschung in größerem Umfang zu betreiben. Diese systematische Entkoppelung von Lehre und Forschung verstetigt die Ungleichheit unter den Forschenden innerhalb einer Institution und verengt mögliche Forschungsagenden auf die Interessen von immer weniger vermeintlich herausragenden Individuen. Auf der Ebene der involvierten Personen fungiert Exzellenz, indem sie Konkurrenz statt Kooperation fördert, letztlich als ein Entsolidarisierungsprogramm. Und zwar nicht nur in Bezug auf Kolleg:innen innerhalb und außerhalb der eigenen Institution, die notgedrungen zu Konkurrent:innen werden, sondern auch in Bezug auf Hochschullehre und Betreuung Studierender. Soziales, (hochschul‑)politisches und zivilgesellschaftliches Engagement verkümmert, da Erfolg in der Akademie ohne kontinuierliche Selbstausbeutung unwahrscheinlich ist. Was so erodiert, ist eine Kultur der Wertschätzung und aktiven Förderung von Diversität. Statt nur nach vermeintlichen Nobelpreisträger:innen in spe zu suchen, wäre eine Vielfalt zu fördern, von der Hochschullandschaften und Forschungsökologien tatsächlich profitieren könnten.
Literatur:
– Brembs, Björn, The Biggest Threat to Science Today: The Scholarly Publishing System, https://flawed-science.weebly.com/talks.html.
– Fuchs, Thorsten, mRNA-Entdeckung: Wem gebührt der Preis?, in: RedaktionsNetzwerkDeutschland, 17.06.2021, https://www.rnd.de/wissen/mrna-impfstoffe-wem-gebuehrt-der-preis-fuer-die-entdeckung-326H6BLRNBAR3GOM43TJLPJ5OQ.html
– Moore, Samuel, Neylon, Cameron, Paul Eve, Martin, O’ Donnell, Daniel Paul und Damien Pattinson, „Excellence R Us“: University Research and the Fetishisation of Excellence, in: Palgrave Communications 3:16105 (2017), https://doi.org/10.1057/palcomms.2016.105 [mit weiterer Literatur zu falschen Anreizen in der Exzellenzlogik].
– N.N., Editorial. Power And Bullying in Research, in: The Lancet 399:10326 (2022), https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02869-5
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