Scheinwahrheit Nr. 7c: Natürlich kann man bei 16 SWS Lehrdeputat noch Lehre und Forschung verbinden! Man muss sich einfach nur gut organisieren.
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Scheinwahrheit Nr. 7c: Natürlich kann man bei 16 SWS Lehrdeputat noch Lehre und Forschung verbinden! Man muss sich einfach nur gut organisieren.

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Forschung und Lehre sind die Kernelemente des wissenschaftlichen Arbeitens. Bei beidem gilt, dass sie stetig überarbeitet und an neueste wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst werden müssen. „Lehre soll inspirieren, motivieren, praxisnah und forschungsorientiert sein [und], die unterschiedlichen Bildungsbiografien der Studierenden berücksichtigen, gleichzeitig aber die Studierenden in die Verantwortung nehmen“ heißt es in der Charta guter Lehre des Stifterverbands für die deutsche Wissenschaft (Jorzik, Charta, S. 11) Universitäre Lehre ist damit in aller Regel nicht stereotyp reproduzierbar, sondern muss ständig neu konzipiert werden. Wenn sie ihrem Namen gerecht werden soll, darf sie von der Forschung nicht abgekoppelt werden.

 

Rechnen wir nun also nach: Hat eine wissenschaftliche Mitarbeiterin 16 Stunden Lehrdeputat im Semester abzuleisten, so ergibt sich folgender Zeitaufwand: 16 SWS (Semesterwochenstunden) bedeuten, dass sie pro Lehrsemester mit einer üblichen Laufzeit von 14-15 Wochen (etwa 3 Monate) insgesamt 168 Stunden im Semester abhalten muss (16 SWS x 14 Wochen x 45 Minuten = 10080; 10080: 60 Minuten = 168 Stunden). Im Lehrsemester (abzüglich der lehrfreien Zeit) sind das pro Woche etwa 12 Stunden reine Lehrzeit. Hier nicht miteingerechnet sind Fahrtwege, pädagogische und inhaltliche Fortbildungen, die Betreuung von Studierenden, die Vor- und Nachbereitung der Lehrstunden und das Abhalten und die Korrektur von Prüfungen. Letztere fallen meist ausschließlich auf die vorlesungsfreie Zeit im Semester, die sogenannten „Semesterferien“. Wie viel Vor- und Nachbereitungszeit eine Lehrveranstaltung braucht, ist unterschiedlich. Der Zeitaufwand hängt nicht nur von der Erfahrung der Lehrenden, sondern auch von Teilnahmezahlen, Prüfungsformen und zu betreuenden Leistungen wie Abschlussarbeiten etc. ab. Die GEW geht davon aus, dass eine Lehrstunde einen zwei- bis dreimal so hohen Arbeitsaufwand in der Vor- und Nachbereitung birgt (vgl. GEW, Arbeitsplatz, S. 4–8). Rechnet man hier mit einem Mittelwert von 2,5, ergibt sich für ein Lehrdeputat von 16 SWS eine zusätzliche Arbeitszeit von 30 Stunden in der Woche (12 Stunden Lehre X 2,5). Zusammengerechnet stellt sich hier nun ohne Zusatzleistungen (wie etwa Fahrtzeiten, Weiterbildungen, Gremienarbeit) eine Gesamtwochenarbeitszeit von 42 Stunden ein. Der gesamte Arbeitsaufwand liegt hier bereits über der gesetzlich festgelegten Wochenarbeitszeit. (vgl. auch das Ergebnis der Berechnung am Beispiel der Hamburger Lehrveranstaltungsverordnung bei Logge, Augenhöhe, S. 19–21). Zeit für Forschung, für das Recherchieren, das Konzeptionieren, die Erhebung und Auswertung von Forschungsdaten, die Diskussion von vorläufigen Ergebnissen, das Verfassen von Publikationen und das Überarbeiten von reviewten Beiträgen fällt dann in die Freizeit. Zudem besteht der Arbeitsalltag von Wissenschaftler:innen nicht nur aus Lehre und Forschung. Hinzu kommen verpflichtende Gremiensitzungen und Daueraufgaben in der Verwaltung (vom Hochschulsportbeirat über Berufungskommissionen, Erasmuskoordination, Brandschutzhelfer:in, Lehrplanung und viele andere), sowie Termine mit Kolleg:innen und Chef:innen, die Organisation von und Teilnahme an Konferenzen und Tagungen. Ganz zu schweigen von der Arbeit an einer Promotion oder Habilitation, die für die weitere wissenschaftliche Karriere unverzichtbar ist.

 

Festzuhalten ist: 16 SWS fördern eine konstante Überarbeitung der Angestellten. „Wer […] auf einer vollen Stelle 16 SWS lehrt, der verbringt 100% seiner wöchentlichen Arbeitszeit damit, Lehrveranstaltungen vorzubereiten, durchzuführen und nachzubereiten.“ (Logge, Augenhöhe, S. 20). Darüber hinaus noch andere verpflichtende Dienstaufgaben in der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit erfüllen zu müssen und eigene, für gute universitäre Lehre unverzichtbare Forschung zu betreiben, ist keine Frage der individuellen Organisation der Mitarbeitenden. Es ist ein kollektives Versagen der Personalpolitik in Bezug auf eine angemessene Ressourcenplanung.

 

Literatur:
– GEW, Arbeitsplatz Hochschule in NRW. Ratgeber für den Hochschulalltag, Essen 2020, https://paderborn.gew-nrw.de/wir-in-paderborn/mein-arbeitsplatz/hochschule-forschung.html
– Jorzik, Bettina (Hrsg.), Charta guter Lehre. Grundsätze und Leitlinien für eine bessere Lehrkultur, hrsg. im Auftrag des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Essen 2013.
– Logge, Thorsten, „Auf Augenhöhe mit der Forschung?: Wert und Lage der universitären Lehre“. Geschichtswissenschaft im 21. Jahrhundert: Interventionen zu aktuellen Debatten, hrsg. von Cord Arendes, Karoline Döring, Claudia Kemper, Mareike König, Thorsten Logge, Angela Siebold und Nina Verheyen, Berlin/Boston 2020, S. 15–26, https://doi.org/10.1515/9783110689143-003

 

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