Stellungnahme des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) zum Referentenentwurf des BMBF für das WissZeitVG (03.07.2023)
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Stellungnahme des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) zum Referentenentwurf des BMBF für das WissZeitVG (03.07.2023)

Die Vertretungen der abhängig beschäftigten Wissenschaftler:innen, der studentischen Beschäftigten und der Studierenden weisen darauf hin, dass der Referentenentwurf die grundlegenden, teilweise durch das WissZeitVG selbst geschaffenen Probleme der Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft nicht zu lösen verspricht. Im Bündnis mit 14 weiteren Organisationen haben wir Forderungen für eine gute WissZeitVG-Novelle formuliert.

Stellungnahme des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) zum Referentenentwurf des BMBF für das WissZeitVG (03.07.2023)

Der Referentenentwurf hat die Forderungen der Arbeitgeberseite aufgenommen und die Argumente der abhängig beschäftigten Wissenschaftler:innen ignoriert. Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen die Erlaubnis behalten, Arbeitskräfte für lange Zeit nach Belieben zu befristen; die Unsicherheit wird weiterhin häufig bis ins fünfte Lebensjahrzehnt bestehen. Positive Ansätze wie Mindestvertragslaufzeiten für Promovierende und studentische Beschäftigte greifen zu kurz. Der Referentenentwurf zementiert und normalisiert den regelmäßigen Verlust von Wissen und Kompetenzen. Dies schadet der Bildung und der Wissenschaft in Deutschland.

1. Die Vertragsdauer in der Promotionsphase muss der faktischen Promotionszeit entsprechen.

Der Referentenentwurf geht einen Schritt in die richtige Richtung, indem Soll-Werte für die Erstverträge in der Promotionsphase (3 Jahre) und die PostDoc-Phase (2 Jahre) formuliert werden. Allerdings beträgt die durchschnittliche Promotionszeit 5,7 Jahre (ohne Medizin). Um Promotionsabbrüche und den Verlust von wertvoller Forschungsarbeit zu verhindern, muss die Vertragslaufzeit 6 Jahre betragen. Promovierende müssen von der Exposé-Erstellung bis zur Verteidigung und Veröffentlichung finanziell abgesichert sein. Über ihre Eignung können Vorgesetzte in der regulären 6-monatigen Probezeit entscheiden.

2. Mit der Promotion ist die wissenschaftliche Qualifizierung abgeschlossen.

Im Referentenentwurf wird der Qualifizierungsbefristung Vorrang eingeräumt. Die damit verbundene Anerkennung von Sorgezeiten u.ä. ist zu begrüßen, doch der Qualifizierungsbegriff wird offenkundig missbraucht. Promovierte, eigenständige Wissenschaftler*innen werden entmündigt, indem man ihnen immer weitere ‚Qualifikationen‘ abverlangt. Wissenschaftliche Leistungen nach der Promotion, die ggf. auch über Berufungen entscheiden, können und müssen im Rahmen von Dauerstellen erbracht werden.

3. Die Vorlage widerspricht dem Koalitionsvertrag: Sie schafft keinen Anreiz für Dauerstellen.

Die Regierungsparteien haben sich mit dem Koalitionsvertrag verpflichtet, die Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern, besonders durch verlässliche Perspektiven nach der Promotion. Der Entwurf gestattet den Hochschulen hingegen weiterhin, die Arbeitskraft promovierter Wissenschaftler:innen auszunutzen, ohne ihnen verbindliche Perspektiven zu bieten. Im Gegenzug schafft er Druck, bereits innerhalb von vier Jahren eine der wenigen Dauerstellen bzw. Stellen mit Anschlusszusage zu ergattern. Dies fördert soziale Ungleichheit: Frauen, Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, mit Behinderungen und aus nicht-akademischen Elternhäusern werden strukturell noch stärker benachteiligt sein als bisher. Eine Lösung bieten Dauerstellen und Verträge mit Anschlusszusage direkt nach der Promotion. Um sie wirksam voranzutreiben, soll die Novelle auch eine Befristungshöchstquote festschreiben. Unsere eigenen Berechnungen ergeben eine Höchstquote von 35% (exklusive Professuren); der Übergang dorthin kann schrittweise erfolgen.

4. Ein WissZeitVG ohne klare Karrierepfade ist europarechtswidrig.

Das bisherige WissZeitVG legalisiert de facto eine endlose Befristung und ist deshalb nicht vereinbar mit der „EU-Kettenbefristungsrichtlinie“ RL 1999/70/EG. Eine Novelle wäre nur dann EU-rechtskonform, wenn klare Karrierewege im Sinne einer realistischen Entfristungsperspektive nach der Promotion eröffnet werden (Link).

5. Wir brauchen eine Normalisierung des Arbeitsmarktes und die Abschaffung der Tarifsperre.