28 Mar Profs für Hanna zum WissZeitVG 24.3.2024
siehe hier im [PDF]
Die Kabinettsvorlage zur Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (März 2024):
Stellungnahme von #profsfuerhanna
Die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes führt vor, wie Gesetzgebung nicht laufen sollte. Nachdem das zuständige Ministerium (BMBF) eine Evaluation beauftragt, zahlreiche Gespräche mit Beteiligten und Betroffenen geführt, einen vor einem Jahr lancierten Änderungsansatz nach Protesten wieder zurückgezogen und dann in einen notdürftig veränderten Referentenentwurf überführt hat, wurde nun endlich die Kabinettsvorlage angekündigt. Das Ergebnis, das sich den Medienberichten entnehmen lässt, ist mehr als enttäuschend: Der im Juni 2023 veröffentlichte Referentenentwurf soll unverändert in Bundestag und Bundesrat gehen. Das Ministerium nimmt von der Vielzahl geäußerter Einsichten, Vorschläge und Argumente zur Reform oder Obsoletheit des WissZeitVG also schlechthin nichts auf und hält weiter an einem Plan fest, der die Situation für befristet Beschäftigte in der Wissenschaft sogar verschärft. Das gilt besonders für promovierte Wissenschaftler*innen, für die nun nicht mehr sechs, sondern vier plus zwei Jahre befristete Beschäftigung gestattet sein sollen: vier Jahre nach bloßem Ermessen der Arbeitgeber, zwei Jahre mit bedingter Zusage für eine Anschlussbeschäftigung. Die Initiative #profsfuerhanna lehnt diese halbherzige Neuregelung „4+2“ mit Nachdruck ab.
Der Vorschlag konterkariert die Forderung nach mehr Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren. Bei einem gleichbleibenden Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse führt die 4+2-Regelung nur dazu, dass sich das Befristungskarussell noch schneller dreht: Nach der Promotion würden noch mehr Wissenschaftler*innen eine akademische Laufbahn mit noch schlechteren Karriereperspektiven beginnen und dabei unter noch größerem Zeit- und Konkurrenzdruck stehen. Nach den vier Jahren wären sie zudem in den allermeisten Fächern in Bewerbungsverfahren für eineunbefristete Professur noch nicht konkurrenzfähig. Eine bloße Verkürzung der Postdoc-Phase ohne begleitende Maßnahmen, die Verbindlichkeit schaffen und Prekarität abbauen, verschärft die Probleme, die durch eine Reform eigentlich behoben werden sollten. Vereinbarkeit von Beruf bzw. Karriere und Familie bzw. Care-Arbeit, innovative Risikoforschung jenseits des Mainstreams, Engagement in akademischer Lehre und Selbstverwaltung sowie die Erhöhung von Diversität werden so deutlich behindert. Dies mindert die Qualität und Attraktivität von Forschung und Lehre in Deutschland noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist.
Als Gesetzgeber muss der Bund dafür Sorge tragen, dass das System massenhafter befristeter Arbeitsverhältnisse ohne nachhaltige Perspektive, das durch das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft ermöglicht wurde, nicht weiterbesteht; eben dies kann und muss die Gesetzesreform leisten. Zugleich sollte er durch Förderprogramme und Vereinbarungen mit den Ländern den Aufbau von deutlich mehr Dauerstellen und die Etablierung zeitgemäßer Personalstrukturen an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen unterstützen.
Wir sehen mit Sorge, dass der Wissenschaftsstandort Deutschland unter der uninspirierten und zögerlichen Wissenschaftspolitik des Bundes, fast aller Bundesländer und der meisten Hochschulleitungen leidet. Das Befristungssystem zerstört nicht nur vielfach Lebensläufe und hat den beruflichen Existenzkampf ins Zentrum wissenschaftlicher Werdegänge gerückt. Es führt auch zunehmend zur Abwanderung qualifizierter und kompetenter Personen aus der Wissenschaft und/oder ins Ausland. Bereits jetzt können viele Fächer Postdoc-Stellen nicht besetzen, hochkarätige internationale Bewerbungen werden aufgrund der fehlenden Karriereperspektiven immer seltener.
Die geplante Novellierung ist nicht geeignet, promovierte Wissenschaftler*innen für die Lehre und Forschung zu gewinnen, sondern dürfte eine fatale Signalwirkung entfalten. Aus dem akademischen Feld sind in den letzten zwölf Monaten – auch auf explizite Aufforderung
des BMBF – zahlreiche konstruktive Vorschläge dazu gemacht worden, wie eine Reform des Gesetzes angelegt sein und wie sie andere Reformen anstoßen könnte. Dass im Referentenentwurf offenbar weiterhin kein einziger dieser Vorschläge aufgenommen wurde, ist unverständlich und höchst frustrierend. Daher weisen wir abschließend noch einmal auf Vorschläge und Orientierungen hin, die uns besonders wichtig scheinen und die wir selbst verschiedentlich schon vertreten haben:
● Die wissenschaftliche Qualifizierung ist mit der Promotion abgeschlossen. Eine Phase danach (‚PostDoc‘) kann zur Orientierung und zur wissenschaftlichen Profilierung dienen, sie wird aber immer von selbständig agierenden, bereits qualifizierten Wissenschaftler*innen gestaltet. Die Vorstellung einer Qualifizierung nach der Promotion gehört zum Kern des Problems, weil sie die ausufernde Befristungspraxis rechtfertigt und dem immer wieder formulierten Ziel einer besseren Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren entgegensteht.
● Nach Abschluss der Promotion muss daher eine dauerhafte Beschäftigung oder Perspektive die Regel sein, so wie in jedem anderen Berufsfeld auch. Die Besonderheiten der Wissenschaft rechtfertigen keine Sondererlaubnis zur befristeten Beschäftigung qualifizierter Arbeitskräfte.
● Der Übergang zu einem besseren Beschäftigungssystem kann u.a. durch Höchstquoten für den Anteil befristeter Stellen an einer Fakultät, einer Hochschule oder Forschungseinrichtung gestaltet werden, die sowohl bundes- als auch landesgesetzlich (im Notfall auch durch Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen) festgeschrieben werden können – sie ließen sich, wie etwa der wissenschaftliche Dienst des deutschen Bundestags festgestellt hat, sogar im Wissenschaftszeitvertragsgesetz verankern. Solche Höchstquoten sollten nicht, wie es in
einigen Bundesländern schon praktiziert wird, den Status quo konsolidieren, sondern in Richtung arbeitsmarktüblicher Befristungsanteile gehen.
● Eine einzelne Gesetzesänderung allein kann die dringend notwendigen Strukturveränderungen nicht erreichen. Darauf darf sich das Ministerium aber nicht ausruhen. Es muss die überfällige Gesamtreform anschieben, die deutlich mehr Dauerstellen für Forschung und Lehre neben der traditionellen Professur schafft, die Abhängigkeit wissenschaftlicher Beschäftigter von einzelnen Professor*innen abbaut und eine nachhaltige Grundfinanzierung der Hochschulen sicherstellt, statt diese von einem überhitzten Projektwettbewerb abhängig zu machen.
Für #profsfuerhanna:
Prof. Dr. Daniel Bischof, Institut für Politikwissenschaft, Universität Münster
Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky, Institut für Soziologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
Prof. Dr. Christina Hölzel, Institut für Tierzucht und Tierhaltung, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Prof. Dr. Kai Koddenbrock, Bard College Berlin
Prof. Dr. Ruth Mayer, Englisches Seminar, Leibniz Universität Hannover
Prof. Dr. Tilman Reitz, Institut für Soziologie, Friedrich-Schiller Universität Jena
Prof. Dr. Tobias Rosefeldt, Institut für Philosophie, Humboldt-Universität zu Berlin
Prof. Dr. Jörg Strübing, Institut für Soziologie, Universität Tübingen
Prof. Dr. Martina Winkler, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel