30 Sep Scheinwahrheit Nr. 2a: Universitäten befristen doch nur deshalb, weil sie für den außerwissenschaftlichen Arbeitsmarkt qualifizieren – und der verlangt regelmäßig frische Kräfte.
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Diese Behauptung führt in die Irre, weil sie suggeriert, dass der Grund für Befristung darin liege, dass der außeruniversitäre Arbeitsmarkt nicht mit genügend Kräften beliefert werden könne, wenn man diese nicht daran hindere, langfristig universitäre Karrieren zu verfolgen. Die dabei implizit formulierte Annahme, dass diese Wissenschaftler:innen bei Entfristung die Universität nicht verlassen würden, lässt auch noch ein Bewusstsein dafür erkennen, dass die ursprüngliche und eigentliche Begründung für Befristung eine inneruniversitäre ist: Qualifikation bedeutet, dass Promotion und Habilitation als notwendige Sprossen auf der universitären Stufenleiter gelten.
Diesem Prinzip nach wird die Befristung in der Promotionsphase mit dem zu erbringenden Nachweis der Befähigung zu eigenständigem wissenschaftlichen Arbeiten begründet. Mit dem Erreichen des Doktorgrades als Qualifikation betrachten nicht nur sämtliche deutschen Landeshochschulgesetze, sondern auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die wissenschaftliche Ausbildung als abgeschlossen. Die DFG begründet die Antragsberechtigung von Wissenschaftler:innen ab der Postdoc-Phase auch genau damit (vgl. u. a. Merkblatt für Anträge auf Sachbeihilfen, S. 3). Wenn die Promotion außerhalb der Universität einen Wert hat, dann beruht dieser nicht so sehr auf der fachlichen Passfähigkeit für außeruniversitäre Berufe als auf dem intellektuellen symbolischen Mehrwert, den sie Qualifizierten verleiht; auf den Mangel an Passfähigkeit lässt auch schließen, dass im außeruniversitären Bereich vielfach weitere Qualifikationen wie Referendariate und Volontariate erwartet werden. Mit Bezug auf die Habilitationsphase wird die Behauptung einer Qualifikation für den außeruniversitären Arbeitsmarkt jedoch vollends abwegig, da Habilitierte auf dort typischerweise als über- oder fehlqualifiziert gelten.
„Universitäten leisten mit der akademischen Qualifizierung dringend benötigter Fachkräfte einen wichtigen Beitrag für Gesellschaft, Wirtschaft und den öffentlichen Dienst. Das Modell befristeter Qualifizierungsphasen in den unterschiedlichen Bildungsformaten der Universitäten ist eine unverzichtbare Voraussetzung dafür […].“
“Bayreuther Erklärung“ der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands“, 2019
Mit Dokumenten wie zuletzt der Bayreuther Erklärung der Universitäts-Kanzler:innen Deutschlands werden Arbeitsverhältnisse zu Ausbildungsverhältnissen erklärt und damit der Mammutanteil der von Promovierenden und Habilitierenden geleisteten Lehre und Forschung als nicht vollgültig gewertet. Die Kanzler:innen hängen mit ihrer Umdeutung des Qualifizierungsbegriffs dem faktischen wissenschaftlichen Berufsverbot nach 6 plus 6 Forschungsjahren lediglich ein argumentatives Feigenblatt vor, mit dem verleugnet wird, dass Wissenschaft, wie jedes andere Berufsfeld auch, eine nachhaltige Personalentwicklung braucht. So soll es den Universitäten zwar sehr wohl darum gehen, den sogenannten wissenschaftlichen Nachwuchs zu qualifizieren, nur für alles andere als die Wissenschaft. Genau dieser Logik folgend qualifiziert die HU Berlin seit der Einführung des neuen Berliner Hochschulgesetzes mit seiner Entfristungsregelung für Postdocs nun auch mit dem Ziel des „Erwerbs von Erfahrung im deutschen Hochschulsystem“ und „für eine Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft“. Diese Befristungsgründe waren zwar schon seit 2016 definiert, aber zum einen für temporäre Gäste aus dem Ausland und zum anderen für Personen gedacht, denen der Ausstieg aus der Wissenschaft erleichtert werden sollte. Wissenschaft als Beruf erhält damit nun grundsätzlichen Gnadenfrist-Status.
In der gleichen Weise zeigt auch die notorische Beliebigkeit bei der Erfindung von Qualifikationszielen im Kontext des WissZeitVG, dass sich die Begründungsnarrative für Befristung längst verselbstständigt haben. Befristung wird nicht mehr dadurch gerechtfertigt, dass jemand an den Ansprüchen scheitern könnte, die eine Wissenschaftslaufbahn stellt. Stattdessen scheint Befristung Selbstzweck (unausgesprochen vor allem: ökonomischer Vorteil) der Hochschulen geworden zu sein. Befristete Tätigkeiten können folglich nun in beliebigster Weise als Qualifikationsmaßnahmen deklariert werden. Den vielleicht besten Beweis dafür liefert der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, für den sogar W3-Professor:innen als Nachwuchs „in der Bewährungsphase“ gelten, wenn und weil sie befristet sind (BuWiN 2017, S. 121).
Literatur:
– Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs, Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, hrsg. vom Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, Bielefeld 2017, https://www.buwin.de/buwin-2017
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