14 Nov Ansprache an die HRK
Guten Tag,
wir freuen uns, für fünf Minuten Ihr Ohr zu haben, um ein Problem anzusprechen, das praktisch jeden von uns, die wir als akademischer „Nachwuchs“ bezeichnet werden, als Einzelkämpfer*in betrifft, solange wir Wissenschaft betreiben – und das uns im Einzelkämpfertum zumeist auch gefangen hält. Im Namen einer besseren Hochschule und einer besseren Wissenschaft möchten wir dieses Problem als das kollektive und strukturelle thematisieren, das es ist, und Sie zur Auseinandersetzung damit auffordern.
Dieses im hochschulpolitischen Diskurs meist als „Flaschenhalsproblematik“ angesprochene Problem stellt sich in klaren Zahlen wie folgt dar: Auf eine einzige Professur, also den unter den aktuellen Verhältnissen nahezu einzigen unbefristeten Stellentyp, kommen, wenn man die Frequenz ihrer Besetzbarkeit zugrundelegt: fünfundzwanzig Doktorand*innen, ca. acht Postdoktorand*innen und fünf Habilitierte. Je nach Qualifizierungsstufe werden also 80, 88 oder 96 Prozent von uns, die wir Wissenschaft betreiben und dafür ausgebildet werden und sind, nur qualifiziert, um zu irgendeinem – für die Einzelnen nie absehbaren, aber nahezu unausweichlichen – Zeitpunkt wieder disqualifiziert zu werden.
In der Presse liest man zu diesem Problem, die deutschen Hochschulen funktionierten „wie eine Firma, die alle Angestellten unwiderruflich kündigt, die es nicht in einer gewissen Zeit zum Abteilungsleiter gebracht haben“. (WDR) Nachzutragen wäre, dass die „gewisse Zeit“ im Falle der 80% meist ein halbes Berufsleben ausmacht. Doch angesichts kürzester Vertragslaufzeiten, angesichts Massenandrangs auf jede ausgeschriebene Stelle und Berufsverbotsdrohung durch die Weise, in der die Hochschulen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auslegen, beschreibt vielleicht auch ein anderes Bild unsere Lage. Wir kommen uns vor wie eine Heerschar, die, abwechselnd rennend und in Deckung gehend, unter Dauerbeschuss die Stellung der wissenschaftlichen Exzellenz erobern soll, in dem sicheren Wissen, dass auf dem Wege dahin nahezu alle liegenbleiben werden. Wir sind 145 000, von denen 8000 übrig geblieben sein werden, wenn sie den Status erreichen, mit dem man Wissenschaftler*innen nicht nur sein darf, sondern es auch bleiben. Manche nennen das mit einem nicht viel weniger martialischen Bild Bestenauslese; gemeinsam ist beidem, dass die Vielen vor allem dazu da sind, die Wenigen zu befördern.
Unser Aufruf an Sie lautet daher: Machen Sie uns nicht länger zum Kanonenfutter einer Wettbewerbsideologie, die mehr Karriereleichen produziert als Karrieristen. Hören Sie auf, uns als wissenschaftlichen Nachwuchs zu bezeichnen, wenn doch „Nachwachsen“ für die meisten nichts Besseres heißt, als untergepflügt zu werden wie die schief gewachsene Kartoffel oder die Gurke mit falschem Krümmungsgrad. Als Hochschulleitungen sorgen Sie alltäglich dafür, dass fast niemand von uns nach Ablauf der Zwölf-Jahres-Frist weiterbeschäftigt wird, wie in anderen Berufen schon nach zwei Jahren. Stattdessen werden wir hochqualifiziert in die Beschäftigungslosigkeit entlassen, werden langwierig erworbener Sachverstand, Erfahrung und Wissen mit Ihrer praktischen und ideellen Zustimmung entwertet. Die nächste Kartoffel könnte ja runder sein, und Produktionsmittel gibt es reichlich.
Als Teil der Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat die HRK 2011 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu einem „unverzichtbaren Instrument“ erklärt, „um die hohe Qualität unseres wissenschaftlichen Personals zu sichern“. Ihr Standpunkt ist also offenbar, dass gute Forschung und Lehre durch die Selektion der sie Betreibenden zu gewährleisten sei – und nicht durch Arbeitsverhältnisse, die es ermöglichen, sich auf die Kernaufgaben der Wissenschaft zu konzentrieren.
In einer Zeit, in der die Freiheit der Wissenschaft bedeutsamer ist denn je, fordern wir Sie auf, diesen Standpunkt zu revidieren. Nicht nur wir haben inzwischen den Eindruck, dass der Zwang zu Selbstdarstellung und karrieretechnischer Überlebenssicherung, der Wettbewerb um Drittmittel und hochrangige Publikationsorte (an dem wir mal aktiv, mal abhängig teilnehmen müssen) und eine permanente Evaluierungsaktivität Forschung und Lehre zusehends zur Nebensache degradieren. So aber sabotiert eine Personalpolitik der Prekarisierung und Endlosselektion die Wissenschaft durch ihre eigenen vermeintlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen. Es sind nicht Angst, Abhängigkeit, Opportunismus und Überlebenswille, die Wissenschaft zum Blühen bringen, sondern Autonomie und die Möglichkeit langfristig selbstbestimmten Arbeitens. Trauen Sie Ihren Beschäftigten zu, das unter Beweis zu stellen – und erkennen Sie mit praktischen Maßnahmen an, wie sehr wir es schon unter Beweis gestellt haben.