28 Nov Scheinwahrheit Nr. 5d: Der Wettbewerb in der Wissenschaft ist schon immer harte Selektion gewesen, daran hat sich gar nichts verändert. Es erlangen nun mal nur 5% der Promovierenden eine Professur.
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„Das Hochschulsystem bleibt sehr stark dem Qualifizierungsgedanken verpflichtet und das bedeutet auch, dass es eben einen Engpass gibt. Man promoviert und dann gibt es eine sehr begrenzte Zahl an Professuren, das war auch in meiner Generation so. Man sollte nicht so tun, als ob das ein Phänomen unserer Tage sei. Bei uns war es auch so, dass vielleicht zehn Prozent der Doktoranden höchstens auf eine Assistentenstelle kam, und dann nochmal von denen fünf Prozent auf eine Professur. Mehr war das nicht.“
Peter-André Alt am 6.2.2021 im DLF, Campus & Karriere, Minute 38:10.
Dass das System im Sinne des Lehrstuhlprinzips immer schon selektiv war, ist zwar richtig – das liefert aber erstens keine Begründung dafür, dass es in dieser Form gut oder sinnvoll ist, und zweitens belegt dies nicht, dass es sich nicht verändert und möglicherweise sogar verschlechtert haben kann. Gegen Ersteres spricht, dass andere Länder mit weit weniger selektiven Systemen in der Wissenschaft gegenüber Deutschland keineswegs zurückfallen (vgl. Janotta/Morcillo Laiz, Befristungen; Kreckel, Lage, S.19.), und zum zweiten Punkt lässt sich feststellen, dass sich, bei einem strukturell scheinbar gleichen System, die Chancen auf Verbleib an der Universität sehr wohl deutlich verschlechtert haben. Das geht unmissverständlich aus den Strukturveränderungen in der Forschungsfinanzierung hervor: Seit den 1980er Jahren hat das Drittmittelvolumen an den Hochschulen massiv zugenommen (vgl. DFG 1997, S. 6; DFG 2000, S. 15) und stagniert seit 2013 bei etwa 27%, also knapp einem Drittel der Hochschulmittel (vgl. DFG, Förderatlas, S. 21–22; allg. zur Forschungsfinanzierung und ihren negativen Auswirkungen: Hüther/Schimank, Forschungsfinanzierung, bes. S. 19–28). Dieser enorme Zuwachs an Drittmitteln ist konsequent in befristete Stellen im Mittelbau geflossen. Nicht zuletzt deshalb sind die Personalkategorien des wissenschaftlichen Mittelbaus in dieser Zeit im Verhältnis zu Professuren überproportional gewachsen. So hat sich die Zahl der unter 35-Jährigen, an Hochschulen Beschäftigten, zwischen 2005 und 2018 um 78 Prozent erhöht (vgl. BuWiN 2021, S. 100). Zugleich wurden Dauerstellen in dieser Personalgruppe deutlich reduziert, es gibt also auch immer weniger Alternativen zur Professur. Diese gegenläufigen Bewegungen führen zusammengenommen zu einer deutlichen Verschärfung des sogenannten Flaschenhals-Problems. Wäre das simple Argument, es sei doch schon immer so gewesen, nicht per se schon fragwürdig (weil es die Gewöhnung an ein Problem als dessen Lösung betrachtet) so zeigt die Faktenlage auch dessen Unhaltbarkeit auf.
Literatur:
– Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs, Statistische Daten und Forschungsbefunde zu Promovierenden und Promovierten in Deutschland, hrsg. vom Konsortium Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, Bielefeld 2021, https://www.buwin.de/buwin-2021. [zum Verhältnis der Stellen].
– DFG 1997, https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/zahlen_fakten/ranking/archiv/dfg-foerderranking_1997.pdf
– DFG 2000, https://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/zahlen_fakten/ranking/archiv/dfg-foerderranking_2000.pdf
– DFG, Förderatlas. Kennzahlen zur öffentlich finanzierten Forschung in Deutschland, Bonn 2021, www.dfg.de/sites/foerderatlas2021/download/dfg_foerderatlas_2021.pdf
– Hüther, Otto und Uwe Schimank, Forschungsfinanzierung und individuelle Wissenschaftsfreiheit: Balance von sicherer Grundfinanzierung und finanzieller Anreizsteuerung, Berlin 2022, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:kobv:b4-opus4-37292
– Janotta, Lisa und Álvaro Morcillo Laiz, Befristung sind keine Bestenauslese, in: Jacobin (2022), https://jacobin.de/artikel/befristungen-sind-keine-bestenauslese-wisszeitvg-ich-bin-hanna-arbeitsbedigungen-forschung-peter-andre-alt-ludwig-kronthaler/
– Kreckel, Reinhard, Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten: Deutschland im Vergleich mit Frankreich, England, den USA und Österreich, in: Beiträge zur Hochschulforschung, 38:1-2 (2016), S. 12-40.
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